Vorbereitungsmaterial, Broschüren und Muster für Vorsorgedokumente

und Hans-Martin Sass2



(1)
Ethikzentrum.de – Zentrum für Angewandte Ethik, Hohenzollernstr. 76, 45659 Recklinghausen, Deutschland

(2)
Zentrum für Medizinische Ethik e. V., Ruhr-Universität Bochum, 44780 Bochum, Deutschland

 



Die üblichen Bezeichnungen für Vorsorgedokumente werden in Broschüren oder institutionellen Vorsorgekonzepten mitunter abweichend von den im Gesetz zu findenden Bezeichnungen benannt. Teilweise werden Kombinationen von unterschiedlichen Vorsorgedokumenten mit einem besonderen Begriff versehen. Bei der Einschätzung von Vorsorgedokumenten empfiehlt sich die Einteilung in die gesetzlich beschriebenen Dokumente: Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung und Patientenverfügung.

Mit einer Vorsorgevollmacht kann jeder geschäftsfähige volljährige Mensch vorausschauend für den Fall der eventuell später eintretenden Betreuungsbedürftigkeit eine Person des Vertrauens mit einer Vorsorgevollmacht zur Wahrnehmung einzelner oder aller Angelegenheiten ermächtigen. Als Vollmacht wird die durch Rechtsgeschäft einer anderen Person erteilte Vertretungsmacht bezeichnet. Eine erteilte Vorsorgevollmacht hat Vorrang gegenüber der Bestellung eines gesetzlichen rechtlichen Betreuers, auf dessen Bestellung durch den Betreuungsrichter des Betreuungsgerichts mit einer Betreuungsverfügung Einfluss genommen werden kann.

Mit einer Betreuungsverfügung kann eine Person vorgeschlagen werden, die im Bedarfsfall vom Betreuungsgericht zum Betreuer bestellt wird. Es können auch inhaltliche Wünsche an den rechtlichen Betreuer formuliert werden.

Eine Patientenverfügung ist ein schriftliches Dokument eines einwilligungsfähigen Volljährigen, mit dem er festlegt, ob er in bestimmte, noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt (§ 1901a Abs. 1 S. 1).

Begrifflich erhielt die Diskussion wesentliche Impulse durch den Kölner Konkursrichter Uhlenbruck, der als Analogie der Kommunikation des Arztes mit Kollegen und dem Patienten durch einen Arztbrief 1978 den „Patientenbrief“ vorstellte (Uhlenbruck 1978, S. 566). Es folgten Bezeichnungen wie „Euthanasie-Testament“, „Kranken- und Schwerverletztenverfügung“, „Lebenstestament“, „Patientenanwaltsverfügung“, „Patientenerklärung“, „Patientenletztverfügung“, „Patientenschutzbrief“, „Vorab-Erklärung“, „Willenserklärung… für lebensbedrohliche Situationen“ (May 2004, S. 430–431) und zunehmend setzte sich der Begriff „Patientenverfügung“ durch. Der Begriff Patienten„testament“ ist wegen der sprachlichen Nähe zu einem unwiderruflichen Dokument für die Zeit nach dem Tode nicht zu empfehlen, denn eine Patientenverfügung ist für die Zeit des Lebens mit eingeschränkter Kommunikationsfähigkeit gedacht.

Ende der 1990er Jahre verbreitete sich die Behandlungsvereinbarung für die Psychiatrie, in welcher der möglicherweise in der erneuten Krise zukünftige Patient mit der jetzigen Klinik eine Vereinbarung zum zukünftigen Aufenthalt und zur Behandlung trifft (May 2005b, S. 226–228).

Für die präklinische Notfallbehandlung (s. Kap. 22) haben sich seit 2001 Notfallbögen verbreitet (Stratmann 2001; Brokmann et al. 2014).

Die Abbildung (Abb. 38.1) verdeutlicht die Zusammenhänge der Vorsorgedokumente mit den im Gesetz zu findenden Begriffen (Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz 2013).

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Abb. 38.1
Vorsorgedokumente


38.1 Vorbereitungsmaterial: Wertanamnese




Interessierte Laien beschäftigen sich häufig in Lebenssituationen mit Vorsorgedokumenten, in denen die Vielzahl regelungsbedürftiger Fragen noch nicht erkannt oder in gesunden Tagen die genauen Informationen zu eigenen Krankheitssituationen noch nicht bekannt sind.

Nach einer juristisch orientierten ersten Phase der Ausgestaltung von Patientenverfügungen in den USA der 1980er Jahre sehen Kielstein und Sass eine zweite Phase der Checklisten (Wertinventar oder Wertpräferenz) für die Abfrage von Patientenwünschen und Präferenzen bevor sie als dritte Phase Geschichten (story phase) kennzeichnen, mit denen ein Profil der Patientenwünsche und Wertvorstellungen erstellt werden kann, welches in eine Patientenverfügung integriert werden kann (Kielstein und Sass 1993, S. 304; Kimura, Veatch und Sass 1998).

Vorbereitend sollen Menschen auf dem Weg zu einer Patientenverfügung bzw. Vorsorgevollmacht ihre derzeitige Situation analysieren und dafür auch in die Vergangenheit blicken. Welche persönlichen Erfahrungen haben die Leser gemacht: „Waren Sie selbst schon einmal schwer krank? Wie hat das Ihre Einstellung zu Krankheit, zu Schmerzen, zu Abhängigkeit, zu Leben und Sterben und zur Medizin beeinflusst?“ Neben den persönlichen Erfahrungen hat das Miterleben bei nahen Angehörigen Einfluss auf die eigene Meinungsbildung. Dies wird adressiert durch die folgenden Fragen: „Haben Sie schwere Krankheit oder Sterben von Familienangehörigen oder Freunden aus der Nähe erlebt oder begleitet? Wie hat das Ihre Einstellung zu Krankheit und Sterben geprägt?“ (Kielstein et al. 2014, S. 15).

Statt einer langen Liste von Krankheitsbildern und möglichen Interventionen bietet das Konzept der narrativen Wertanamnese sieben konkrete Fallgeschichten von fiktiven Patienten, durch welche die möglichen Entscheidungskonflikte anschaulicher werden. Die Fallgeschichten sind laienverständlich geschrieben und bilden unterschiedliche Situationen ab und regen zur eigenen Meinungsbildung mit folgender Aufforderung an: „Versetzen Sie sich in die Geschichte von Herrn X/Frau Y und schreiben Sie die Geschichte so um, dass die Behandlung Ihren Wünschen und Vorstellungen entspricht“ (Kielstein et al. 2014).


Fallvignetten der narrativen Wertanamnese



1.

Krebsleiden und Wahrhaftigkeit am Krankenbett

Vor fünf Jahren wurde Frau M., 46 Jahre alt, wegen eines Tumorleidens wurde ihr die linke Brust abgenommen; anschließend erfolgte eine Strahlentherapie. Als nach einiger Zeit plötzlich Gehbeschwerden und starke Rückenschmerzen auftreten, findet man Tochtergeschwülste in der Wirbelsäule. Frau M. stimmt einer Chemotherapie trotz der unangenehmen Begleiterscheinungen zu. Sie hat keine Kenntnis davon, dass der Krebs trotz Chemotherapie weiterwachsen wird, allerdings langsamer. Leider nur unzureichend behandelte und deshalb häufig unerträgliche Schmerzen erlauben keine Entlassung nach Hause, um die sie immer wieder bittet. Frau M. verstirbt sechs Monate später im Krankenhaus. Ohne die Chemotherapie wäre sie vermutlich früher verstorben: ihr Leidensweg wäre eventuell kürzer gewesen.



1.

Würden Sie wünschen, dass Ärzte Sie über Ihren Zustand vollständig aufklären, auch darüber, dass eine Heilung nicht mehr möglich ist?

 

2.

Würden Sie zur Ausschaltung sehr starker Schmerzen auch Medikamente akzeptieren, die Ihr Bewusstsein einschränken oder aufheben?

 

3.

Würden Sie eine spezielle Krebstherapie (Chemotherapie oder Bestrahlung) akzeptieren, wenn diese lediglich zu einer Linderung Ihrer Beschwerden führt, der weitere Verlauf der Krebserkrankung dadurch aber nicht rückgängig gemacht wird?

 

4.

Versetzen Sie sich in die Geschichte von Frau M. und schreiben Sie diese Geschichte so um, dass die Behandlung Ihren Wünschen und Vorstellungen entspricht.

 

 

2.

Sondenernährung zur Lebensverlängerung?

Frau N., 66 Jahre alt, wird seit zwölf Jahren im Seniorenheim betreut, weil sie an der Alzheimerschen Krankheit (Demenz) im fortgeschrittenen Stadium leidet. Sie weiß selten, wo sie ist und erkennt auch zeitweise Mitglieder ihrer Familie und ihres Pflegeteams nicht. Als sie eine Lungenentzündung bekommt verweigert sie die Nahrungsaufnahme und wird deshalb mit einer PEG-Sonde (Magensonde) ernährt, die operativ durch die Bauchwand in den Magen eingebracht wurde. Sie äußert kein Hunger- und Durstgefühl. Bisher war sie vom Pflegeteam hingebungsvoll gefüttert worden. Der Sohn von Frau N. ist seit zwölf Jahren vom Amtsgericht als gesetzlicher Betreuer bestellt und wurde erst nachträglich über den chirurgischen Eingriff informiert. Er verlangt die Einstellung der Sondenernährung und beruft sich auf den mehrfach ihm und ihrer besten Freundin gegenüber geäußerten Wunsch seiner Mutter, nicht „künstlich am Sterben gehindert“ zu werden und „nicht von anderen abhängig“ zu sein.



1.

Würden Sie in der Situation von Frau N. für sich selbst eine künstliche Ernährung [Sonde durch die Bauchwand, oder Tropfinfusion über ein Blutgefäß] ablehnen?

 

2.

Halten Sie es für richtig, dass ein entscheidender medizinischer Eingriff ohne Einwilligung des vom Patienten benannten Betreuers oder Bevollmächtigten gemacht wird?

 

3.

Würden Sie in anderen Situationen, in denen „keine Hoffnung auf Besserung“ besteht, künstlich ernährt und mit Flüssigkeit versorgt werden wollen, auch wenn Sie keinen Hunger und Durst haben?

 

4.

Versetzen Sie sich in die Geschichte von Frau N. und schreiben Sie die Geschichte so um, dass die Behandlung Ihren Wünschen und Vorstellungen entspricht.

 

 

(Kielstein et al. 2014)

Die Fallgeschichten sprechen auch Fragen der Verbindlichkeit von Erklärungen in guten Tagen für die Krankheitssituation an. Eine Vignette thematisiert die gewünschte Patienten-Arzt Beziehung und damit das Maß an ärztlicher Fürsorge. Bei anderen Fällen wird dieser Punkt indirekt ebenfalls angesprochen, wenn nach der berechtigten Hilfeleistung im Notfall gefragt wird.


Themenkomplexe

Die Fallvignetten der narrativen Wertanamnese thematisieren folgende Entscheidungskonflikte:





  • Person des Vertrauens für eine Vorsorgevollmacht,


  • Wahrheit am Krankenbett, Umfang der Patientenaufklärung,


  • künstliche Ernährung, Legen einer PEG-Sonde,


  • künstliche Beatmung, Fortschreiten einer chronischen Erkrankung,


  • Behandlung eines Schlaganfalls, plötzliches Trauma mit Kommunikations- unfähigkeit,


  • Verzicht auf Dialysebehandlung, Therapiebegrenzung,


  • Behandlungsabbruch, Akzeptanz von Suizid.

Ein häufig vorgebrachter Vorwurf gegen Patientenverfügungen ist die zeitliche Distanz vom Erstellen und der Unterschrift unter die Patientenverfügung zum Umsetzen des Dokuments wegen der eingetretenen Einwilligungsunfähigkeit des Patienten. Selten liegen zwischen Unterschrift und Anwendung einer Patientenverfügung nur Stunden bis wenige Tage, sondern notwendigerweise ist der Zeitraum zwischen dem Datum der Festlegung zur Anwendung länger. Diesen Umstand adressieren die „Fragen für heute (aktuelle Selbstbewertung) und jene für später (künftige Selbstbestimmung“ (Kielstein und Sass 1993, S. 322–323) im Abschnitt persönliche Einstellungen zu Grenzsituationen.


Meine persönliche Einstellung zu Grenzsituationen

Fragen für heute (aktuelle Selbstbewertung) und für später (künftige Selbstbestimmung)

Wir alle wissen, dass sich unser Wert- und Weltbild ändern kann, vor allem auch unter dem Einfluss künftiger Erfahrungen und Erlebnisse. Einige von uns möchten sich deshalb nicht genau festlegen; andere wiederum sind sich der wichtigsten Werte und Wünsche sehr sicher und wollen, dass diese Werte und Wünsche handlungsleitend und bindend für andere sind. Die folgenden Fragen sollen Ihnen helfen, sich über Ihre Werte und Wünsche klar zu werden, die im Falle von Unfähigkeit zur eigenen Entscheidung handlungsleitend sein könnten.

Streichen Sie die von Ihnen gewünschte Bewertung an, zuerst nach der jetzigen Wichtigkeit (Zahlen 1 bis 5) und danach nach der künftigen Verbindlichkeit (Buchstaben A bis E). Wägen Sie sorgfältig ab und diskutieren Sie auch diese Abwägungen mit einem Arzt Ihres Vertrauens.

Aktuell wichtig: 1 = sehr wichtig; 2 = wichtig; 3 = je nach Situation; 4 = kann ich nicht entscheiden; 5 = nein.

Verbindlich für die Zukunft: A = unbedingt wichtig; B = wichtig; C = je nach Situation; D = kann ich nicht entscheiden; E = nein.













































































































 
Aktuell wichtig

Zukünftig wichtig

1. Ich möchte solange leben wie möglich,

1,2,3,4,5

A,B,C,D,E

solange ich einigermaßen gesund bin

1,2,3,4,5

A,B,C,D,E

solange eine Aussicht auf Besserung besteht

1,2,3,4,5

A,B,C,D,E

auch wenn ich für immer bewusstlos bin

1,2,3,4,5

A,B,C,D,E

auch wenn ich geistig unzurechnungsfähig bin

1,2,3,4,5

A,B,C,D,E

auch wenn ich dem Tode nahe bin

1,2,3,4,5

A,B,C,D,E

auch wenn ich ständig die Hilfe anderer benötige

1,2,3,4,5

A,B,C,D,E

2. Ich möchte ohne Leiden und Schmerzen sein

1,2,3,4,5

A,B,C,D,E

auch wenn die Behandlung die Klarheit des Denkens beeinträchtigt

1,2,3,4,5

A,B,C,D,E

auch wenn die Behandlung mich müde und schläfrig macht

1,2,3,4,5

A,B,C,D,E

auch wenn die Behandlung unbeabsichtigt meine Lebensspanne verkürzt

1,2,3,4,5

A,B,C,D,E

3. Ich wünsche menschlichen und medizinischen Beistand im Sterben

1,2,3,4,5

A,B,C,D,E

auch wenn die Medikamente mich müde und schläfrig machen

1,2,3,4,5

A,B,C,D,E

auch wenn die Medikamente meine Lebensspanne verkürzen

1,2,3,4,5

A,B,C,D,E

auch wenn die Medikamente direkt meinen Tod herbeiführen

1,2,3,4,5

A,B,C,D,E

4. Bei unheilbarer Krankheit und Erwartung stark eingeschränkter Lebensqualität
   

wünsche ich umfassende Aufklärung

1,2,3,4,5

A,B,C,D,E

sollen meine Betreuer/Bevollmächtigter umfassend aufgeklärt werden

1,2,3,4,5

A,B,C,D,E

soll meine Familie umfassend informiert werden

1,2,3,4,5

A,B,C,D,E

5. Wenn meine letzte Stunde gekommen ist, möchte ich
   

in vertrauter Umgebung sein

1,2,3,4,5

A,B,C,D,E

im Kreis meiner Lieben sein

1,2,3,4,5

A,B,C,D,E

dort sein, wo medizinische und menschliche Betreuung gesichert ist

1,2,3,4,5

A,B,C,D,E

6. Man soll sich an meinen Bewertungen und Wünschen orientieren

1,2,3,4,5

A,B,C,D,E


(Kielstein et al. 2014)

Die integrale Forderung des Konzepts der Vorsorgeplanung in Gesundheitsfragen (VPiG) oder des Advance Care Planning (ACP) nach Kommunikation mit den Vertrauenspersonen ist in der narrativen Wertanamnese als Empfehlung ausgesprochen.

Als Vorteile des narrativen Ansatzes beschreiben Kielstein und Sass die Chance von individuellen persönlichen Reaktionen auf die Fälle, die Möglichkeit des Erkennens der Ambivalenzen und Interdependenzen der innewohnenden moralischen Fragen und die Auseinandersetzung mit Risiken und Unsicherheiten bei Entscheidungen im Gesundheitswesen (Kielstein und Sass 1993, S. 311; Kielstein und Sass 1997, S. 125 ff.).

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Nov 5, 2016 | Posted by in CRITICAL CARE | Comments Off on Vorbereitungsmaterial, Broschüren und Muster für Vorsorgedokumente

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