Umgang mit Patientenverfügungen in katholischer Sicht




© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016
Arnd T. May, Hartmut Kreß, Torsten Verrel und Till Wagner (Hrsg.)Patientenverfügungen10.1007/978-3-642-10246-2_3


3. Umgang mit Patientenverfügungen in katholischer Sicht



Andreas Lob-Hüdepohl 


(1)
Berliner Institut für christliche Ethik und Politik, Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin, Köpenicker Allee 39, 10318 Berlin, Deutschland

 



 

Andreas Lob-Hüdepohl




3.1 Normativ-anthropologische Grundsätze


Jeder Mensch ist – völlig unbeschadet der äußeren Lebenslage, inneren Verfassung oder sonstiger Details seiner individuellen Biographie – immer Gottes Ebenbild und besitzt deshalb eine unauslöschliche Würde. Die Würde des Menschen steht für dessen Unverfügbarkeit (Integrität) und Einmaligkeit (Identität). Immanuel Kant sprach in seinem Kategorischen Imperativ von der „Selbstzwecklichkeit“ der „Menschheit, sowohl in der eigenen Person, als auch in der Person eines jeden anderen“. Das Um-seiner-selbst-willen-Dasein schützt jeden Menschen vor der bloßen Instrumentalisierung für fremde Zwecke und Interessen. Aus dieser Unverfügbarkeit folgt unmittelbar sein Recht, über seine Lebensführung und sein Lebensschicksal gemäß seiner Überzeugung eines guten und gelingenden Lebens selbst bestimmen zu können („verantwortete Freiheit“). Darin gründet die Verpflichtung ärztlichen und pflegerischen Handelns, die Unverfügbarkeit und Einmaligkeit eines Patienten zu jedem Zeitpunkt seines Lebens zu respektieren und die durch Krankheit beeinträchtigte Fähigkeit zur eigenverantwortlichen Lebensführung entweder wieder herzustellen oder wenigstens vor weiterer Beeinträchtigung zu schützen. Das schließt zweierlei aus: Der erkrankte Patient darf niemals zum bloßen Instrument der beruflichen Interessen eines Arztes oder eines Pflegers gemacht werden – und hätten Ärzte und Pfleger noch so hehre Motive. Und es ist auszuschließen, dass ein medizinischer Eingriff gegen den erklärten Willen des Patienten erfolgt – selbst wenn er aus medizinischer Sicht ohne Zweifel indiziert wäre. In diesem Sinne ist der konsequente Schutz der Patientenautonomie seit langem ein anerkannter Grundsatz von Medizinrecht sowie Medizinethik.

Das Um-seiner-selbst-willen-Dasein des Menschen ist aber kein Dasein als in sich ruhende Monade (griech. monas „Einfach, Einfachheit“), bei der ein Mensch in sich ruht und sich selbst genügen kann, sondern wesentlich ein Dasein in Beziehung (Personalität). Die Unverfügbarkeit und Einmaligkeit eines Menschen dokumentiert sich weniger in dessen Fähigkeit, sich gegen andere Menschen abzugrenzen und zu behaupten, sondern vielmehr in der lebensdienlichen Gestaltung wechselseitiger Beziehungen. Auch diese Einsicht ist in der Tradition der Moderne bzw. der Aufklärung nicht mehr wegzudenken: Freiheit ist wesentlich kommunikativ verfasst und damit um ihrer selbst willen bindungsreich. Die Identitätsarbeit einer Person ist wesentlich Beziehungsarbeit; sie schließt das Ringen um die Authentizität des eigenen Lebensentwurfes ebenso mit ein wie das Ringen um wechselseitige Achtung und Anerkennung als aufeinander angewiesene sowie unterstützungsbedürftige Wesen. Dies bedeutet keine Einbuße von, sondern gerade einen Gewinn an personaler Autonomie, die sich in den hohen Standard existentieller Souveränität steigern kann. Solche Souveränität besteht nicht in einer krampfhaft allein um sich selbst besorgten Existenz; sie manifestiert sich statt dessen als sich selbst entgrenzende Selbstverfügung eines Menschen in die gemeinsam sorgende, ja auch fürsorgende Obhut anderer. Gerade in der Situation als Patient besteht personale Souveränität darin, „die Abhängigkeit und Hilfsbedürftigkeit, in die einen die Krankheit in Bezug auf die anderen bringt, gelassen hinzunehmen oder gar als Zuwendung zum anderen zu erfahren“ (Akshe-Böhme und Böhme 2005, S. 88). Infolgedessen ist die Würde des Menschen keine substantialistisch-ontologische Größe, die als Bollwerk gegen andere zu verteidigen ist, sondern eine intersubjektiv-beziehungsreiche Größe, die in den konkreten wechselseitigen Interaktionen „von Mensch zu Mensch“ wirklich werden will. Deshalb verlangt die Würde eines Menschen als Patient oder als Sterbender nicht den Objektschutz einer abwehrbedürftigen Trutzburg, innerhalb derer sich ein Mensch selbstgenügsam seiner Selbstbestimmung widmen kann, sondern den Beziehungsschutz eines offenen zwischenmenschlichen Interaktionsgeschehens.

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Nov 5, 2016 | Posted by in CRITICAL CARE | Comments Off on Umgang mit Patientenverfügungen in katholischer Sicht

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