Rettungsdienst, lebensrettende Sofortmaßnahmen und Aspekte der apparativen Intensivmedizin


Sichtungskategorie

Beschreibung

Behandlung

Transportpriorität

I (rot)

Akute Vitale Gefährdung

Lebensrettende Sofortmaßnahmen

Transportpriorität nach Herstellung der Transportfähigkeit

II (gelb)

Schwerverletzt

Aufgeschobene Behandlung; vorrangige klinische Betreuung

Transportpriorität nach ärztlicher Hilfe

III (grün)

Leichtverletzt

Verzögerte klinische, ggf. ambulante Behandlung

Spättransport

IV (blau)

Ohne Überlebenschance

Betreuende, abwartende Behandlung
 
V (schwarz)

Tot

Kennzeichnung
 



Durch die Patientensichtung kann eine große Anzahl von Patienten geordnet und bedarfsgerecht vor Ort behandelt und dann in die Krankenhäuser der nahen und weiteren Umgebung gezielt verteilt werden. In den Krankenhäusern soll durch die Notfallmaßnahmen vor Ort eine schnelle, geordnete und für alle Patienten bedarfsgerechte individualmedizinische Versorgung gewährleistet bleiben. In einer solchen Situation muss die auf den einzelnen Patienten zentrierte Individualmedizin zu Gunsten der schnellen und bestmöglichen Versorgung einer großen Gruppe von Patienten vor Ort zwangsläufig in den Hintergrund treten. Die Länder und Hilfsorganisationen unternehmen große Anstrengungen, das Abrücken von der Individualmedizin, zumindest bei erhaltener Infrastruktur, organisatorisch zu verhindern, was nicht immer gelingen kann.

Bei einer Zerstörung der Infrastruktur (z. B. Sturmflut in Hamburg 1962) kann dann wahrscheinlich nur noch eine Gleichbehandlung vieler Hilfebedürftiger im Rahmen der Katastrophenschutzmedizin gewährleistet werden.



22.4 Lebensrettende Sofortmaßnahmen


Das Gehirn ist jenes Organ, welches ohne ausreichende Sauerstoffversorgung durch fehlende Kreislauffunktion des Körpers die geringste Überlebenschance hat. Im Alltag benötigt das Gehirn etwa 20 % des Gesamtsauerstoffbedarfs und hat keine Möglichkeit auf einen Stoffwechsel ohne Sauerstoff umzustellen. So treten bereits nach fünf Minuten einzelne Nervenschäden auf, welche nach weiteren fünf bis sieben Minuten zu globalen Hirnschäden führen können. Es kommt zu einem irreversiblen Organschaden des Gehirns, der z. B. mit Bewegungseinschränkungen, Schluck- oder Sprachstörungen oder sogar bleibendem Verlust des Bewusstseins einhergeht. Die Herzdruckmassage soll im Zeitraum bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes zumindest einer Minimalversorgung mit Sauerstoff für dieses empfindliche und für das Outcome zentrale Organ gewährleisten.

Bereits seit den 1980er Jahren wurden von verschiedenen Institutionen, wie der Universität Göttingen, regional begrenzte, aber dort flächendeckende Weiterbildungen von Laien in der Herz-Lungen-Wiederbelebung durchgeführt. Dies hat sich so sehr bewährt, dass mittlerweile Schulklassen in Herz-Lungen-Wiederbelebung unterrichtet werden und diese lebensrettende Sofortmaßnahme auch Pflichtbestandteil des Erste-Hilfe-Kurses zur KFZ-Führerscheinausbildung ist.


22.4.1 Herz-Lungen-Wiederbelebung


Bei der Herz-Lungen-Wiederbelebung (auch Basic Life Support (BLS)) sind nur wenige Punkte für den Laien zu beachten. Das schnelle Erkennen des Herzstillstandes mit der sofortigen Alarmierung der Rettungskette (112) ist essenziell. Bei Verfügbarkeit sollte unmittelbar der Automatische Externe Defibrillator (AED) zum Einsatz kommen und unverzüglich mit der kontinuierlichen Herzdruckmassage begonnen werden. Diese Herzdruckmassage sollte in einer Frequenz von ca. 120/min (Nolan et al. 2010) durchgeführt und nur zur Defibrillation oder Beatmung unterbrochen werden. Die Herzdruckmassage wird auf dem Brustbein in Höhe der Brustwarzen mit einer Drucktiefe von mindestens. fünf cm durchgeführt. Das Verhältnis von Kompression zu Beatmung beträgt 30:2. Ist eine Beatmung (s. Kap. 24) nicht durchführbar, so sollte eine reine Kompressionstherapie durchgeführt werden. Die Wiederbelebungsmaßnahmen dürfen bis zum Eintreffen professioneller Hilfe nicht unterbrochen werden.

Zur Herz-Lungen-Wiederbelebung gehören:





  • Herzdruckmassage und


  • Beatmung


  • im Verhältnis von zwei Beatmung nach 30 Drücken auf den Brustkorb.


22.4.2 Technik der Defibrillation (AED)


Der Automatische Externe Defibrillator (AED) ist ein sich in Deutschland, dank vieler regionaler Initiativen, zunehmend durchsetzendes Verfahren zur elektrischen Therapie einer pulslosen elektrischen Aktivität (PEA) des Herzen. Diese tritt bei tachykarder (griech. tachykardia „Schnellherzigkeit“) Herzrhythmusstörung mit Frequenzen über 300 Schlägen pro Minute auf. Das Herz wird durch unkoordinierte elektrische Aktivität daran gehindert, den üblichen, elektrisch gesteuerten Herzschlag auszuführen. Diese elektrischen Störungen werden häufig durch Sauerstoffmangel im Herzen provoziert. Diese ungerichtete elektrische Aktivität des Herzens ohne Puls, ähnlich einem Krampfanfall des Gehirns, und somit nicht effektiver Sauerstoffversorgung des Körpers, kann mit einem Elektroschock behoben werden.

Der AED wird im Volksmund auch gerne Laiendefibrillator genannt. Dieses Gerät kann in einer Reanimationssituation über zwei integrierte Klebeelektroden mit dem Patienten verbunden werden. Die Klebeposition unter dem rechten Schlüsselbein und schräg unter der linken Brustwarze ist auf den Elektroden markiert. Über diese Elektroden wird die elektrische Herzaktivität abgeleitet, im AED diagnostiziert und bei sicherem Erfüllen der Voraussetzung für die Abgabe einer elektrischen Therapie wird diese freigeschaltet. Der Laie kann über zwei Tasten (Ein/Aus und Schock abgeben) den AED bedienen. Weiterhin gibt der AED Anweisungen zum Verfahren während der Wiederbelebungsmaßnahme. Diese Anweisungen vermitteln dem Laien das aktuelle Vorgehen und können auch dadurch Unsicherheiten verringern.

Der Rettungsdienst kann dann mit erweitertem Equipment die Atemwege sichern, medikamentöse Therapien einleiten, differenzierte Elektrotherapie durchführen und den Transport in die Klinik übernehmen.


22.4.3 Weitere Maßnahmen


Ein seit über zehn Jahren verwendetes Verfahren mit Ziel der Verbesserung des neurologischen Outcomes ist die milde therapeutische Hypothermie (MTH) (Bernard et al. 2002). Hierbei wird zur Erhöhung der Hypoxie-Toleranz und der Senkung des Sauerstoffverbrauchs der gesamte Körper auf eine Temperatur von 32–34 °C über 24 h heruntergekühlt. Die oben bereits beschriebenen neuronalen Schädigungen werden durch sehr komplexe molekulare Mechanismen innerhalb der Zellen verursacht, welche aber alle auf den Sauerstoff- und Substratmangel in den einzelnen Zellen zurückzuführen sind. Diese zum programmierten Zelltod führenden Kaskaden können noch bis zu fünf Tage nach dem Ereignis neuronale Schäden hervorrufen. Weiterhin scheint die MTH auch in andere fatale Kaskaden einzugreifen und den neuronalen Zelltod zu verringern (Lampe und Becker 2011). Bei zum jetzigen Zeitpunkt noch inhomogener Datenlage weisen zumindest einzelne Studien darauf hin, dass eine Kühlung bereits präklinisch protektiv sein könnte. Auch wenn das Verfahren in dieser Situation noch nicht standardisiert ist, so kann der Notarzt ggf. auch mit unkonventionellen Methoden versuchen, den Patienten zu kühlen. Die Spanne der Optionen reicht von ggf. mitgebrachten gekühlten Infusionen bis hin zur Verwendung von am Notfallort vorrätigen Tiefkühlprodukten.


22.4.4 Prognosen für das Outcome


In Deutschland werden ca. 100.000 Menschen außerhalb der Klinik wiederbelebt, bei ca. der Hälfte der Patienten kann ein Spontankreislauf (ROSC: Return of spontaneous Circulation, engl. „Rückkehr des Spontankreislaufs“) erreicht werden, jedoch bleiben trotz Wiederherstellung der Kreislaufaktivität oft zum Teil erhebliche neurologische Schäden zurück. Während bisweilen das kurzzeitige Überleben nach Reanimation zum Teil zutreffend vorhergesagt werden kann, sind die Prognosen für das Langzeitüberleben oder das zu erwartende funktionelle neurologische Behandlungsergebnis sehr unsicher. Es fehlen zurzeit verlässliche prädiktive Parameter, die eine solche Prognose erlauben würden. Durch die Einführung der MTH sind die Prognoseparameter noch unschärfer geworden. Sowohl Biomarker als auch apparative Untersuchungen (EEG (Elektroenzephalografie, von griech. encephalon, „Gehirn“ und graphein, „schreiben“)/SEP (Somatosensibel evozierte Potentiale)) sind in ihrer Aussagekraft durch die Kühlung deutlich limitiert (Cronberg et al. 2013). Die Erhebung von SEP’s und die Ableitung eines EEGs sollte frühestens 72 h nach Beendigung der Hypothermie und Sedierung in normothermem Zustand durchgeführt und zur Therapieentscheidung herangezogen werden. Die bekanntesten und am besten untersuchten Biomarker Neuronenspezifische Enolase (NSE) und Protein S-100 (S-100) können bei nicht gekühlten Patienten trotz einiger Einschränkungen als Verlaufsparameter herangezogen werden. Bei Patienten mit MTH sind niedrige Serumwerte auch ein Hinweis auf ein gutes neurologisches Outcome, wohingegen hohe Serumwerte bei diesem Patientengut keine sichere Aussage hierzu zulassen. Hieraus ergibt sich eine Zeitspanne von vier Tagen, in der es schwierig ist, über das neurologische Outcome des Patienten eine annähernd sichere Aussage zu machen (Neumar et al. 2008).


22.5 Strukturen der Behandlung von Notfallpatienten im Krankenhaus



22.5.1 Notaufnahme und Schockraum


Die Notaufnahme ist die Schnittstelle zwischen dem Rettungsdienst und dem jeweiligen Krankenhaus. Um im Alltag allen Patienten gerecht zu werden und eine optimale Behandlungsqualität für 24 h am Tag gewährleisten zu können, haben sich die meisten Krankenhäuser entschieden, eine zentrale, interdisziplinäre Notaufnahme einzurichten. Bereits hier entscheidet sich der weitere Weg für den Patienten, denn die Notaufnahme ist nach Festlegung der Erstdiagnose der Verteiler innerhalb des Krankenhauses.

Nach der nötigen Diagnostik (Anamnese, körperliche Untersuchung, Laboruntersuchungen, Ultraschall, Röntgen und weiterführender orientierender Diagnostik) wird der Patient unmittelbar der Therapie oder der weiterführenden Diagnostik zugeführt.

Für die schwerverletzten oder vital bedrohten Patienten aus dem Rettungsdienst werden in Notaufnahmen speziell ausgestattete Räume (Schockräume) vorgehalten (Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie 2006), um in kürzester Zeit dem Patienten ein Maximum an Diagnostik und Therapie zukommen zu lassen. Dies ist insbesondere bei polytraumatisierten Patienten wichtig, bei denen umgehend eine möglichst definitive Diagnostik erfolgen muss.

Eine beinahe zeitgleiche Therapie zum Erhalt der Vitalfunktionen und zur Verhinderung von Folgeschäden durch die bereits erlittenen Verletzungen wird ebenfalls in diesem Schockraum durchgeführt. Diese Aktivitäten werden zielgerichtet von einem eingespielten interdisziplinären Team aus Chirurgen, Anästhesisten und Radiologen simultan und prioritätenorientiert erbracht. Die Abwendung von Folgeschäden ist in dieser „golden hour of shock“ (McNicholl 1994) ein wichtiger Fokus der Versorgung. Durch die schnelle Therapie von Blutungsquellen, Frakturen oder anderen schwerwiegenden Verletzungen, sowie dem Erhalt der Organdurchblutung, wird versucht, die Spirale des Schocks – von der Makrozirkulationsstörung über die Organhypoxie (Sauerstoffmangel in den Organen) und Mediatorenfreisetzung bis hin zum Multiorganversagen – so früh wie möglich zu durchbrechen. Diese professionelle, sowie Algorithmen basierte und prioritätenorientierte Schockraumversorgung verbessert das Überleben polytraumatisierter Patienten signifikant.

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Nov 5, 2016 | Posted by in CRITICAL CARE | Comments Off on Rettungsdienst, lebensrettende Sofortmaßnahmen und Aspekte der apparativen Intensivmedizin

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