Palliative Care in Einrichtungen




© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016
Arnd T. May, Hartmut Kreß, Torsten Verrel und Till Wagner (Hrsg.)Patientenverfügungen10.1007/978-3-642-10246-2_33


33. Palliative Care in Einrichtungen



Cornelia Wichmann  und Karin Wilkening 


(1)
Landes-Caritasverband für Oldenburg e. V., Referat Pflege und Pflegebildung, Neuer Markt 30, 49377 Vechta, Deutschland

(2)
Zentrum für Gerontologie, Sumatrastr. 30, 8006 Zürich, Schweiz

 



 

Cornelia Wichmann (Korrespondenzautor)



 

Karin Wilkening




33.1 Die Hospizidee braucht keine Mauern


Bereits 1994 hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend den obigen Titel verwendet, um bei einer der ersten einschlägigen, bundesweiten Fachtagungen gegen das Missverständnis anzugehen, dass es Ziel der Hospiz- und Palliativbewegung sei, das gute Sterben künftig in möglichst viele stationäre Einrichtungen zu verlegen. In Deutschland standen Hospizhäuser am Anfang der Etablierung von Hospiz- und Palliative Care-Strukturen. Ab Beginn der 1980er Jahre entwickelten sich ambulante Angebote, die jedoch in den Medien nicht so populär wurden wie die stationären Hospize – ein Grund warum es lange nötig war, obiges Missverständnis auszuräumen. Das eigentliche Ziel der Hospizbewegung war und ist, das Sterben zuhause oder zumindest wie zuhause zu fördern. Dieses Anliegen, entspricht dem Wunsch vieler Menschen: Dort zu sterben, wo man lebt und nicht – wie zurzeit noch die häufigste Realität – in einem Krankenhaus (Klinkhammer 2012).

Die Begriffe Hospiz und Palliative Care werden inhaltlich oft synonym benutzt. Maßgebend für die Begriffswahl ist die Blickrichtung der Beteiligten. Der Ausdruck Hospiz entstand aus einer eher ehrenamtlichen Bürgerbewegung und versteht die Begleitung von sterbenden Menschen als gemeinsame gesellschaftliche, multidisziplinäre Aufgabe. Zu den ursprünglichen Professionen eines notwendigen multiprofessionellen, hauptamtlichen, palliativen Versorgungsteams zählen Pflege, Medizin, Sozialarbeit und Seelsorge. Unter Palliativmedizin und Palliative Care wird vermehrt die hauptamtliche medizinisch-pflegerische Komponente verstanden, das Wort Hospiz signalisiert die Wurzeln und die Einbeziehung des Ehrenamts, wobei Zielsetzung und Grundhaltung identisch sind.

Wichtiger als die Terminologie ist die gemeinsame inhaltliche Bedeutung der Begriffe. Hierbei ist besonders wichtig, dass Hospiz und Palliative Care keine spezielle Pflegetechnik, Therapieform oder Einrichtungsart ist, sondern eine besondere Haltung den Menschen und ihren Angehörigen gegenüber zum Leben in seiner gesamten Begrenztheit (Student 1999). Die ehrenamtlichen Hospizhelfer sind neben den Hauptamtlichen wichtige Akteure in der Palliativversorgung mit der Aufgabe, das Alltägliche, die Normalität im möglicherweise derzeit eingeschränkten Leben des Sterbenden zu ergänzen und letztlich auch in den Strukturen ihrer eigenen Lebenswelt Tod und Sterben wieder sprechbar zu machen und damit zu enttabuisieren.

Im Mittelpunkt der Hospizversorgung stehen der unheilbar kranke, sterbende Mensch und seine Angehörigen, die darin unterstützt werden, die verbleibende Lebenszeit so beschwerdearm wie möglich und entsprechend ihrer individuellen Wünsche und Fähigkeiten inhaltsvoll und sinnerfüllt gestalten zu können. Dabei gilt, dass das Sterben weder beschleunigt, noch hinausgezögert werden soll und als natürlicher Teil des Lebens akzeptiert wird. Nach Begleitung und Tod des Schwerstkranken sind der Umgang mit dem Verstorbenen, seine Verabschiedung und die Trauerbewältigung für die Hinterbliebenen ebenfalls wichtiger Teil hospizlicher Sorge. Insbesondere die Profession der Sozialarbeit kann für die Zunahme der komplexen Vernetzungsaufgaben, die Angebote der psychosozialen Begleitung sowie konzeptionelle Lösungen und evaluative Aufgaben in besonderer Weise künftig vermehrt angesprochen und eingesetzt werden (Wilkening und Wichmann 2010).

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO 2002) definiert die Hospiz- und Palliativversorgung als „Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihren Angehörigen, die mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung konfrontiert sind, und zwar durch Prävention und Linderung von Leiden, durch frühzeitiges Erkennen sowie durch exzellentes Einschätzen und Behandeln von Schmerzen und anderen physischen, psychosozialen und spirituellen Problemen“.

Diese Definition lässt erkennen, dass bei Palliative Care von vier Dimensionen des Schmerzes ausgegangen wird: Dem körperlichen, dem sozialen, dem psychischen und dem spirituellen Schmerz. Die unterschiedlichen Dimensionen stehen miteinander in Verbindung und benötigen eine ganzheitliche Betrachtung. Daher müssen für Palliative Care auch unterschiedliche Professionen zur Stabilisierung bzw. Verbesserung der Lebensqualität aller Betroffenen zusammenarbeiten, wobei die Angehörigen ebenfalls im Blickfeld von Palliative Care stehen und manchmal umfangreicher Unterstützung und Fürsorge bedürfen – besonders auch in Zeiten der Trauer

Die Hospizbewegung begleitete ursprünglich krebskranke und HIV-infizierte Menschen mittleren Alters, die keine Aussicht mehr auf Heilung hatten. Die Realität zeigt, dass nur ein kleiner Teil der Sterbenden jung und an Krebs erkrankt ist. Die meisten Menschen sterben im Alter (drei Viertel sind über 70 und fast 50 % aller Sterbenden in 2006 waren über 80 Jahre alt), sind chronisch und mehrfach erkrankt (z. B. gleichzeitig Krebs und Demenz) und gelten als pflegebedürftig im Sinne des Gesetzgebers (§ 14 SGB XI) (vgl. Pick et al. 2004). Das Modell von Palliative Care muss daher auf weitere Krankheitsbilder und Versorgungskontexte ausgeweitet werden. Eine optimale Versorgung am Lebensende bedeutet zunehmend optimale Versorgung Hochaltriger und ihres Umfelds.


33.2 Sterbeszenarien in unterschiedlichen Einrichtungstypen


Auch wenn häusliche Pflege vielerorts geleistet wird, geschieht das Sterben letztlich doch vermehrt in Institutionen. Ungefähr 75 % der Menschen versterben bei uns in Krankenhäusern und Altenpflegeheimen. Immer noch ist das Krankenhaus der Hauptsterbeort (es gibt keine bundesweiten Statistiken dazu), doch ist eine Trendwende zu erkennen (Pick et al. 2004). Die Stärkung der ambulanten Versorgungssysteme für häusliche Pflege, der medizinische Fortschritt und auch die große Bereitschaft zur familiären Pflege hat zur Folge, dass alte Menschen erst spät und somit zunehmend im höheren Alter in ein Pflegeheim einziehen (Heimerl et al. 2003; Backes und Clemens 2008). Derzeit verbringen mehr als 30 % der pflegebedürftigen Menschen ihren letzten Lebensabschnitt in Pflegeheimen und werden auch dort sterben, mit steigender Tendenz (Statistisches Bundesamt 2011).


Hospize und Palliativstationen

Hospize und Palliativstationen sind aus gesundheitsrechtlicher Sicht explizite, palliative Versorgungseinrichtungen mit speziellen Finanzierungsbedingungen (vgl. § 39a SGB V). Hier steht die Begleitung und Versorgung von sterbenden Menschen (unabhängig von ihrem Alter) und deren Angehörigen im Mittelpunkt. Sterben, Tod und Trauer sind sprechbare Themen und der bewusste Umgang damit gehört zur Konzeption der Einrichtung und zur beruflichen Hauptaufgabe der Mitarbeitenden. In ein Hospiz ziehen sterbende Menschen nach ärztlicher Anordnung und nach Aufklärung der Betroffenen ein, für die ein Krankenhausaufenthalt nicht angezeigt ist und für die aufgrund fehlender Angehöriger eine häusliche Versorgung nicht geleistet werden kann. Das Hauptziel ist die Verbesserung der Lebensqualität, eine permanente ärztliche Präsenz ist nicht gegeben.

Im Gegensatz zu stationären Hospizen ist eine Palliativstation eine Abteilung eines Krankenhauses und nimmt Patienten auf, welche einen Anspruch auf Krankenhausbehandlung haben mit Ziel der Symptomlinderung, des Schmerzmanagement und der Stabilisierung der Gesamtsituation durch ein interdisziplinäres Team. Oft ist hierbei die Weiterverlegung und Entlassung nach Hause oder in andere Einrichtungen wie Altenpflegeheim oder Hospiz an der Tagesordnung. In beiden obigen expliziten Versorgungsfeldern von Palliative Care werden ausschließlich Menschen begleitet und versorgt, die schwerstkrank und/oder sterbend sind (Student 1999).

Die Weiterentwicklung der ambulanten Versorgungssysteme für häusliche Pflege hat zur Folge, dass alte Menschen erst im hohen Alter in ein Altenpflegeheim einziehen und die Verweildauer dort kürzer wird. Das durchschnittliche Alter von Altenpflegeheimbewohnern beträgt etwa 85 Jahre (Hoffmann et al. 2009) und jeder fünfte Heimbewohner verstirbt jetzt schon innerhalb der ersten sechs Monate nach Einzug. Insgesamt ein Drittel verstirbt innerhalb des ersten Jahres nach Einzug (Schneekloth und Wahl 2007).

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Nov 5, 2016 | Posted by in CRITICAL CARE | Comments Off on Palliative Care in Einrichtungen

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