Organspende und -transplantation in Deutschland



Abb. 29.1
Organtransplantationen seit 1963. (Mit freundlicher Genehmigung der DSO)



Die Transplantation ist bei vielen Patienten mit chronischem oder akutem Organversagen die überlegene oder häufig sogar die einzige therapeutische Option. Der Organspende, als unabdingbare Voraussetzung für diese Therapieform, kommt somit zentrale Bedeutung zu, denn sie ist nicht nur der erste Schritt, sondern zugleich auch der limitierende Faktor in einer langen Behandlungskette.


29.1 Erfolgsgeschichte der Transplantationsmedizin


Nach der ersten, 1954 in Boston erfolgreich durchgeführten Nierentransplantation bei genetisch identischen Zwillingsbrüdern (Lebendspende), folgte die erstmalige Übertragung von Leber und Lunge 1963, der Bauchspeicheldrüse 1966, des Herzens 1967 und des Dünndarms 1988. Bis zum Ende des letzten Jahrhunderts konnten – vor allem durch die Weiterentwicklung der Immunsuppression (Unterdrückung der Abstoßungsreaktion), der Organkonservierung nach der Entnahme und der chirurgischen Techniken – die Ergebnisse der Organtransplantation in allen Bereichen verbessert werden. Durchschnittlich funktionieren nach fünf Jahren noch fast 80 % der transplantierten Nieren und über 70 % der Herzen.


29.2 Aktuelle Situation der Organspende in Deutschland


Mehr als 12.000 schwer kranke Menschen warten derzeit in Deutschland auf eine Transplantation. Während hierzulande täglich rund elf Organe übertragen werden, versterben in der gleichen Zeit immer noch drei Patienten auf der Warteliste. Der anhaltende Mangel an Spenderorganen verstärkt den Ruf nach einer größeren Spendebereitschaft in der Bevölkerung und nach einer stärkeren Beteiligung der über 1.300 Krankenhäuser mit Intensivstationen an der Organspende. Dank des medizinischen Fortschritts und vor dem Hintergrund des Organmangels wurden die medizinischen Kriterien für die Akzeptanz von Organen erweitert, und somit das Spektrum potenzieller Organspender vergrößert. Absolute Kontraindikationen werden heute nur noch bei wenigen Erkrankungen gesehen. HIV-Infektionen, akute Hepatitis-B und -C-Infektionen, aktive Tuberkulosen, Sepsis bei nachgewiesenen multiresistenten Keimen, akute Infektionen durch Viren, Bakterien, Pilzen, Staphylokokken stellen eine Einschränkung dar. Im Einzelfall gibt es jedoch Berichte in der Literatur, dass auch Spender mit solchen Erkrankungen in Frage kamen. Tollwut und Creutzfeld-Jakob-Erkrankungen sowie nicht kurativ behandelte Malignome (außer Hirntumore) sind absolute Kontraindikationen. Es gibt, entgegen weit verbreiteter Vorstellungen, keine Altersbegrenzung für Organ- und Gewebespenden, entscheidend ist ausschließlich die Organfunktion.

Von 2004 bis 2010 erhöhte sich die Zahl der Organspender um 25 %, mit einem Höchststand 2007 von 1.313 Spendern und 4.878 Transplantationen inkl. Lebendspenden (Jahresbericht der Deutschen Stiftung Organtransplantation 2014). Dies war möglich durch konsequente Arbeit der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) in Zusammenarbeit mit den Krankenhäusern und den Gesundheitsverwaltungen der Länder. Die Unterschiede der Zahlen einzelner Bundesländer zeigen jedoch deutlich, dass nicht in allen Bundesländern eine gleichbleibende gute Unterstützung vorhanden war. Leider kam es in den Jahren nach 2011 wieder zu einem deutlichen Rückgang, der zeitlich sehr deutlich korreliert werden kann mit der eingetretenen rechtlichen Verunsicherung bei den Ärzten der Krankenhäuser im Zusammenhang mit der rechtlichen Novelle des TPG (Transplantationsgesetz), veranlasst durch die Direktive der EU zur Gewebespende und später zur Organspende. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ist die Umsetzung der EU-Direktive in Deutschland wenig gelungen, sehr komplex und auch für juristische Fachleute kaum noch im Ganzen verständlich. Allein die Tatsache, dass trotz anderslautender Festlegung im TPG eine Kommerzialisierung der Gewebespende möglich ist, nämlich dann, wenn Gewebe als Arzneimittel vermarktet werden können, führt zu Verunsicherung, aber auch massiven ethischen Bedenken auf Seiten der Beteiligten.

2012 wurde in Deutschland die Novelle des TPG verabschiedet. Ganz neu ist, dass der Gesetzgeber in § 1 festlegt, dass Ziel des Gesetzes eine Förderung der Organspende ist.

Daran muss sich der Gesetzgeber messen lassen. Bedauerlicherweise hat es einen deutlichen Rückgang der Organspendezahlen in den Jahren 2012 und 2013 gegeben. Dies muss als Folge der Skandale angesehen werden, bei denen einzelne Mediziner Fälschungen von Daten vorgenommen haben, um ihren Patienten einen Allokationsvorteil und eine frühere Transplantation zu verschaffen. Deutschland erreicht derzeit nur noch eine Spenderate von ca. 11 Spendern pro Million Einwohner, das ist weniger als in den meisten europäischen Ländern. In Spanien und Belgien sind die Spendezahlen um den Faktor 3 höher. Das Potenzial an Organspendern ist in Deutschland laut mehrerer Erhebungen der DSO in Zusammenarbeit mit den Krankenhäusern bei mindestens 40 pro Million Einwohnern anzusetzen. Vielfach werden mögliche Organspender in den Krankenhäusern nicht als solche erkannt; viele Menschen lehnen in der Akutsituation immer noch eine Organspende ab. Das gilt besonders, wenn der Wille des Verstorbenen nicht bekannt ist.

Nach wie vor geben bei Umfragen 80 bis 85 % der Bevölkerung an, dass sie eine Organspende befürworten.

Die DSO setzt sich seit 2008 für die flächendeckende Aufklärung der Bevölkerung ein und hat die Initiative Fürs Leben gegründet (www.​fuers-leben.​de). Hier können Informationen zu allen Fragen im Zusammenhang mit der Organspende eingesehen werden.


29.3 Organisation der Organspende in Deutschland


Organspende und -transplantation sind interdisziplinäre Prozesse, an denen Krankenhäuser, transplantierende Kliniken (Transplantationszentren) und die DSO als bundesweite Koordinierungsstelle für Organspende beteiligt sind. Die DSO unterstützt die Krankenhäuser mit Intensivstationen und rund 50 Transplantationszentren im Organspendeprozess und stimmt die Zusammenarbeit von der Mitteilung eines möglichen Organspenders über die Organentnahme bis zur Organübertragung ab (Kirste 2014). Die DSO ist deutschlandweit rund um die Uhr für die Krankenhäuser erreichbar. Um den zeitnahen Support zu gewährleisten, bildete die DSO sieben Organspenderegionen (Region Baden-Württemberg, Bayern, Mitte mit Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland, Nord mit Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein, Nord-Ost mit Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Ost mit Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen), die über mehrere Standorte verfügen (Abb. 29.2).
Nov 5, 2016 | Posted by in CRITICAL CARE | Comments Off on Organspende und -transplantation in Deutschland

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