Hospizbewegung und Palliativmedizin in Deutschland – Ziele, Konzept und Entwicklung

Fig. 31.1

Principles of palliative medicine according to Cicely Saunders (1977)
In addition, the goal is that care is taken as far as possible in the familiar or self-chosen environment of those affected. Most people – 66% according to a representative population survey initiated by the German Hospice and Palliative Association (DHPV) in 2012 (Deutscher Hospiz- und PalliativVerband 2012 ) – wish to be able to die at home; The largest part dies in institutions, especially in hospitals (still almost 50% of all dying) and homes.
In order to achieve these goals , a comprehensive and holistic approach is needed which, depending on the individual situation, takes account of the medical / nursing, social, psychological and spiritual needs and needs of the most severely ill and involves the families and the social environment. Against this background, a multi-disciplinary and cross-sectoral approach is a structural prerequisite for hospice and palliative care.
In the focus of the hospice movement and palliative medicine, people with cancer have been the focus of attention. Approximately 90% of patients on palliative and inpatient hospitals, in the SAPV nearly 80% (Schneider 2013 ) are still people in the final stages of cancer. It is only in the last few years that severe diseases with other diagnoses, such as cardiovascular diseases or neurological diseases, and especially the elderly and people with dementia, have been more closely examined.
A special emphasis today is on integrating hospice culture and palliative competence into the regular care facilities, ie in general outpatient care, general hospitals and inpatient care facilities; Here most people are looked after in this last phase of life and the necessary framework conditions have to be created. This requires a different attitude and an application-oriented care and support in the sense of the “high-person, low technology” approach, the qualification of employees in palliative care, the consideration of organizational developments, the participation in networks and not least a remuneration Account.
Darum geht es: Menschen müssen darauf vertrauen können, dass ihnen trotz schwerer Krankheit, Hilfs- und Pflegebedürftigkeit ein würdiges Leben bis zuletzt und ein Sterben in Würde ermöglicht wird. Nur so kann vielen Menschen ihre Angst und Verzweiflung in einer ihnen häufig ausweglos erscheinenden Situation genommen werden. Und nur so kann es auch gelingen, wie dies die Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland (DGP et al. 2010) formuliert, „den Bestrebungen nach einer Legalisierung der Tötung auf Verlangen oder der Beihilfe zum Suizid durch eine Perspektive der Fürsorge und des Miteinanders entgegenzuwirken“.
In den vergangenen rund 15 Jahren haben sich die Hospizarbeit und Palliativmedizin auch bezogen auf lebensverkürzend erkrankte Kinder und Jugendliche zunehmend ausdifferenziert und entsprechende Angebote entwickelt. Diese unterscheiden sich vor allem aufgrund des gänzlich anderen Krankheitsspektrums mit häufig deutlich längeren Krankheitsverläufen und der besonderen Familiensituationen zum Teil grundsätzlich von den Entwicklungen in der hospizlich-palliativen Versorgung Erwachsener.
Unabhängig von der jeweils betroffenen Personengruppe, den verschiedenen zugrunde liegenden Erkrankungen und den daraus entstehenden, individuell jeweils unterschiedlichen Wünschen und Bedürfnissen bezogen auf eine palliative Versorgung unterscheiden sich aber die Einstellungen, Haltungen und das zugrunde liegende Gesamtkonzept nicht grundsätzlich, so dass die Hospizbewegung und Palliativmedizin auch in der Zukunft das gemeinsame Dach des weiter zu führenden gesellschaftlichen Prozesses und der notwendigen weiteren strukturellen Entwicklungen im Gesundheits- und Sozialsystem bilden müssen.

31.1.1 Hospiz und Palliativ – Begriffe und Verständnis

Hospiz und Palliativ – was verbirgt sich hinter diesen Begriffen? Welche – unterschiedlichen – Ansätze sind damit verbunden? Dazu ein Blick auf die Wurzeln der Entwicklung: der Begriff Hospiz (lat. hospitium „Herberge“) steht nicht primär für eine Institution, er steht für eine Lebenshaltung, eine neue Kultur im Umgang mit Sterben und Tod, einen gesellschaftlichen Prozess des Umdenkens und einer veränderten Wertorientierung, die überall dort Eingang finden müssen, wo Menschen in dieser letzten Lebensphase der Betreuung und Begleitung bedürfen. Darüber hinaus steht Hospiz selbstverständlich auch für Hospizarbeit, für hospizliches Begleiten und Versorgen.
Die Palliativmedizin (lat. pallium „Mantel“) ist aus den Grundsätzen und Anliegen der Hospizbewegung als eine neue, Disziplinen übergreifende Fachrichtung in der Medizin entstanden. In Deutschland ist zwischen Hospizbewegung und Palliativmedizin (und zum Teil auch zwischen den dahinter stehenden Organisationen) etwa seit Ende der neunziger Jahre z. T. eine wachsende Distanz entstanden, auch verbunden mit Missverständnissen bis hin zu Konkurrenzdenken und dem Bemühen, sich abzugrenzen. Für viele in der Hospizbewegung Engagierte verbindet sich mit dem dynamischen Ausbau der Palliativversorgungsstrukturen auch die Sorge, dass das Hospizliche, die Hospizbewegung zunehmend in den Hintergrund treten könnte. Anders ist dies z. B. in Großbritannien, wo die Begriffe Hospice Care und Palliative Care als synonyme Begriffe verstanden werden (Twycross 2009). Für eine ganzheitliche Versorgung, orientiert an den Belangen der Betroffenen, sind Hospizarbeit und Palliativmedizin nur integrativ denkbar. Beide waren von Anfang an und müssen auch zukünftig Bestandteil eines ganzheitlichen, umfassenden Versorgungskonzeptes sein, bei dem alle Dimensionen, die körperliche, soziale, psychische und spirituelle gleichermaßen berücksichtigt werden und sich gegenseitig ergänzen müssen.
Das setzt voraus, dass sich die Hauptamtlichen der verschiedenen beteiligten Berufsgruppen – u. a. Ärzte, Pflegende, Seelsorgende und Therapeuten sowie die Ehrenamtlichen der ambulanten Hospizdienste in gegenseitiger Wertschätzung und auf Augenhöhe begegnen und integrativ zusammenarbeiten.
Was bedeuten Hospiz und Palliativversorgung für das soziale und humane Miteinander? Inwieweit werden auch sie zunehmend von ökonomischen Aspekten bestimmt – wo die Bedürfnisse und Bedarfe der Betroffenen und ihrer Angehörigen sowie qualitative und sozialethische Aspekte ganz im Vordergrund stehen müssten; dies in einer Gesellschaft, in der die Lebensverhältnisse allgemein und das Gesundheitswesen insgesamt stark von ökonomischen Faktoren und Interessen mitbestimmt werden? Diese Werte-Fragen haben zunehmende Bedeutung bei der weiteren Diskussion über die notwendigen Rahmenbedingungen und sind vor dem Hintergrund des Selbstverständnisses der Hospizbewegung und Palliativmedizin eine ethische Herausforderung für Politik und Gesellschaft.
Die Hospizbewegung, bürgerschaftliches Engagement und die zahlreichen ehrenamtlich engagierten Menschen haben maßgeblich dazu beigetragen, das Verhältnis der Gesellschaft zu Sterben und Tod zu klären und eine neue Kultur im Umgang mit Sterben und Tod zu entwickeln, die die Rechte und Bedürfnisse schwerstkranker und sterbender Menschen in den Mittelpunkt stellt und durch Mitmenschlichkeit, Nähe und Zuwendung geprägt ist. Die Ergebnisse der im Jahre 2012 vom Deutschen Hospiz- und PalliativVerband in Auftrag gegebenen repräsentativen Bevölkerungsbefragung über Wissen und Einstellungen zu Sterben und Tod in unserer Gesellschaft haben gezeigt, dass diese Themen in der Gesellschaft kein Tabu mehr sind. So wünschte sich unter anderem die Mehrzahl der Menschen eine intensivere gesellschaftliche Auseinandersetzung mit diesen Fragen (Deutscher Hospiz- und PalliativVerband 2012). Die Befragung hat auch gezeigt, dass der Begriff Hospiz inzwischen in der Bevölkerung breit bekannt ist: 89 % hatten davon gehört, 66 % konnten ihn richtig definieren. Demgegenüber traf dies für den Begriff Palliativ deutlich seltener zu: nämlich nur in 49 bzw. 32 %. Es bedarf daher auch zukünftig des intensiven Dialogs und der Information, die auch bereits die Kinder und Jugendlichen mit entsprechenden Angeboten – z. B. „Hospiz macht Schule“ – einbeziehen sollte.
Für den weiterhin notwendigen Bewusstseinswandel in unserer Gesellschaft und um das Engagement – auch der politisch Verantwortlichen – für den notwendigen weiteren strukturellen und qualitativen Ausbau von Hospiz- und Palliativversorgung wach zu halten, bedarf es auch in der Zukunft einer lebendigen Hospizbewegung und des bürgerschaftlichen Engagements. Dass dieser weitere Ausbau im Sinne eines ganzheitlichen und integrativen Versorgungskonzeptes von Hospizarbeit und Palliativmedizin gelingt, dafür tragen die Politik, das Gesundheitswesen mit seinen Organisationen und die Gesellschaft insgesamt gemeinsam die Verantwortung.

31.1.2 Hospiz- und Palliativversorgungsstrukturen – ein Überblick

31.1.2.1 Meilensteine in der Entwicklung der Versorgungsstrukturen

Nach dem Beginn der Hospizbewegung und der Palliativmedizin in England in den sechziger Jahren hat es noch relativ lange gedauert, bis diese auch hier in Deutschland Fuß gefasst haben. Die ersten ambulanten Hospizdienste, stationären Hospize und Palliativstationen entstanden in Deutschland in den achtziger Jahren: 1983 wurde an der Universitätsklinik Köln die erste Palliativstation eröffnet, 1985 in München der erste (ambulante) Hospizverein gegründet und 1986 entstanden die ersten stationären Hospize in Aachen und Recklinghausen; das erste stationäre Kinderhospiz wurde 1998 in Olpe, ebenfalls NRW, eröffnet.
Grundlegende Bedeutung für den im weiteren außerordentlich dynamisch erfolgenden Ausbau ambulanter und stationärer Hospiz- und Palliativeinrichtungen in Deutschland hatte auch die Entwicklung der dazu notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen, so insbesondere die Aufnahme gesetzlicher Regelungen zur Finanzierung der stationären Hospize und der ambulanten Hospizdienste in das Sozialgesetzbuch V (§ 39a Abs. 1 und 2 SGB V) in den Jahren 1997 und 2001. Zu den bedeutsamen Meilensteinen (Abb. 31.2) im Hinblick auf die strukturellen Entwicklungen gehören ebenso die Entwicklung von Curricula für ehrenamtliche Mitarbeiter, für Pflegende, psychosoziale und andere Berufe seit Mitte der 1990er Jahre, die Einführung der Zusatzbezeichnung „Palliativmedizin“ für Ärzte auf der Grundlage des Beschlusses des Deutschen Ärztetages im Jahr 2003, die Einrichtung zahlreicher Hospiz- und Palliativ-Akademien zur Weiter- und Fortbildung der verschiedenen Berufsgruppen und die Einrichtung von Lehrstühlen – der erste Lehrstuhl für Palliativmedizin entstand im Jahre 1999 an der Universität Bonn.

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Abb. 31.2

Entwicklung der Hospizbewegung und Palliativmedizin – Meilensteine
Nicht zuletzt auf der Basis grundlegender Vorarbeiten durch die Enquete-Kommission Ethik und Recht der modernen Medizin des Deutschen Bundestags und des von ihr im Jahre 2005 vorgelegten Zwischenberichts (BT-Drs. 15/5858) hat der Gesetzgeber in der 16. und 17. Legislaturperiode (2005–2009 und 2009–2013) darüber hinaus wichtige weitere Weichenstellungen vorgenommen: die Einführung der §§ 37b und 132d SGB V (Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung (SAPV)), eine grundlegende Neuordnung des § 39a SGB V zur Finanzierung der ambulanten und stationären Hospizarbeit, eine Änderung der Approbationsordnung, mit der die Palliativmedizin als Pflichtfach in das Medizinstudium eingeführt wurde, die schließlich nach jahrelanger Diskussion verabschiedete gesetzliche Regelung zu Patientenverfügungen sowie in den Jahren 2011/2012 Neuregelungen im Betäubungsmittelrecht mit Verbesserungen vor allem in der ambulanten Schmerzbehandlung. In der aktuellen Diskussion ist der Entwurf eines Hospiz-und Palliativgesetzes (Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit vom 18. März 2015 – Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland – Hospiz- und Palliativgesetz – HPG) mit dem zum Teil grundlegende Weiterentwicklungen in der Hospiz-Finanzierung sowie in der allgemeinen und spezialisierten Palliativversorgung vorgenommen werden sollen.

31.1.2.2 Hospiz- und Palliativversorgungsstrukturen: Stand heute

Die in den vergangenen Jahren neu entstandenen Einrichtungen der Hospiz- und Palliativversorgung sind inzwischen im System der gesundheitlichen Versorgung in Deutschland strukturell systematisch verankert, eine Forderung auch des Europarats in seiner Recommendation 24 aus dem Jahre 2003 (Europarat 2003). Heute gibt es in Deutschland rund 1.500 ambulante Hospizdienste, über 200 stationäre Hospize, rd. 300 Palliativstationen in Krankenhäusern sowie eine fortgeschrittene Entwicklung der SAPV – auf der Basis unterschiedlicher regionaler Verträge – in allen Bundesländern. Von besonderer Bedeutung: Zahlreiche Menschen in Deutschland engagieren sich ehrenamtlich in der Hospizarbeit, begleiten schwerstkranke und sterbende Menschen und unterstützen die Arbeit in diesen Einrichtungen in vielfältiger Weise. Der DHPV geht von derzeit rund 100.000 haupt-und ehrenamtlich engagierten Menschen in der Hospiz-und Palliativversorgung in Deutschland aus. Es gibt inzwischen sieben Lehrstühle für Palliativmedizin (Aachen, Bonn, Erlangen, Freiburg, Göttingen, Köln und München) sowie eine Professur für Palliativmedizin (Mainz) und weitere erste Professuren für Soziale Arbeit im Bereich Palliative Care und für Spiritual Care (jeweils München). Im Bereich der Kinder-Palliativmedizin wurden ein Lehrstuhl (Witten-Herdecke) und eine Professur (München) geschaffen. Die Strukturentwicklungen stellen sich in den einzelnen Bundesländern in Deutschland insgesamt sehr unterschiedlich dar – bezogen auf die Zahl der ambulanten Hospizdienste, die Entwicklung der SAPV mit ihren sehr unterschiedlichen Vertragsgestaltungen und der erreichten Flächendeckung mit SAPV-Teams sowie SAPV-Teams für Kinder und Jugendliche, die Zahl der stationären Hospize und Palliativstationen und die in ihnen zur Verfügung stehenden Betten in Relation zur Zahl der Einwohner, aber auch hinsichtlich der wissenschaftlichen Schwerpunktbildungen sowie hinsichtlich weiterer konzeptioneller Ansätze, z. B. der Bildung von regionalen Netzwerken. Trotz aller Fortschritte werden auch heute noch viele Menschen, die einer palliativen Versorgung und Begleitung bedürfen, nicht erreicht; hier stehen große Herausforderungen an.

31.1.2.3 Palliativpatient; allgemeine und spezialisierte Palliativversorgung

Wer ist ein Palliativpatient? Und wo werden Palliativpatienten versorgt?
Menschen mit einer fortgeschrittenen und weiter fortschreitenden, nicht heilbaren Erkrankung und einer aufgrund dieser Erkrankung begrenzten Lebenserwartung, sind – und zwar unabhängig von der Art der Diagnose – Palliativpatienten. Eine Definition von Palliative Care hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in den Jahren 1990 und 2002, für Kinder im Jahre 1998 vorgenommen (Abb. 31.3); sie hat darüber hinaus in ihrem im Jahre 2014 gemeinsam mit der Worldwide Palliative Care Alliance (WPCA) vorgelegten Global Atlas of Palliative Care at the End of Life den Versuch unternommen, den Bedarf und die Bedürfnisse sowie die Verfügbarkeit von Palliative Care weltweit zu quantifizieren (WHO 2014). Bezogen auf die konkreten Anspruchskriterien, die sich vor allem aus dem Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung ergeben (insbesondere Rahmenvereinbarungen für die Finanzierung der Leistungen in ambulanten und stationären Hospizen gemäß § 39a SGB V sowie Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses für die SAPV gemäß § 37b SGB V), werden darüber hinaus z. T. die Dauer der Lebenserwartung und der Aufwand der Versorgung gesondert definiert.

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Abb. 31.3

WHO-Definition von Palliative Care 2002
Die Behandlung und Betreuung der Palliativpatienten erfolgt ambulant oder in den verschiedenen stationären Einrichtungen der allgemeinen oder spezialisierten Versorgung.
Die meisten Menschen wünschen sich, zuhause sterben zu können. Gemäß der repräsentativen Bevölkerungsbefragung des DHPV (2012) war dies der Wunsch von 66 % der Befragten; als überraschendes Ergebnis wünschten sich 18 % der Befragten in einer Einrichtung der Sterbebegleitung sterben zu können (DHPV 2012). Erfahrungen zeigen aber auch, dass sich dieser Wunsch in Abhängigkeit von der Schwere der Erkrankung oder anderer Faktoren u. U. auch ändern kann.
Hinsichtlich der Häufigkeit, in welcher Einrichtung/an welchem Ort Menschen derzeit sterben, gibt es bislang in Deutschland keine statistischen Daten. Belegt ist lediglich aus den Daten der bundesweiten Krankenhausstatistik, dass nahezu die Hälfte aller Menschen, in 2012 46,6 %, im Krankenhaus verstirbt (Statistisches Bundesamt 2013). Nach regionalen Erhebungen (z. B. Augsburg 2008; Essen 2014) sterben darüber hinaus rd. 20–30 % der Menschen in den stationären Pflegeeinrichtungen, 3–4 % in stationären Hospizen und 20–25 % zuhause (Eichner 2010; Fay 2014). Grundsätzlich variiert die Bandbreite hinsichtlich der Sterbeorte z. T. erheblich; sie wird wesentlich von der regionalen Versorgungsstruktur und der Dichte des regionalen Netzes mitbestimmt. Erhebungsdaten belegen, dass in vielen Regionen Deutschlands mit der Umsetzung der SAPV deutlich mehr Menschen – auch in einer komplexen Versorgungssituation – bis zu ihrem Tod zuhause versorgt und begleitet werden können.
Insbesondere seit Einführung der SAPV (s. Kap. 32) wird zunehmend zwischen der allgemeinen und der spezialisierten Palliativversorgung unterschieden (Abb. 31.4). Basis der Versorgung für den größten Teil der schwerstkranken und sterbenden Menschen ist nach wie vor die sog. allgemeine palliative Versorgung, insbesondere ambulant durch Haus- und Fachärzte sowie ambulante Pflegedienste, stationär durch die allgemeinen Krankenhäuser sowie die stationären Pflegeeinrichtungen, in denen immer mehr pflegebedürftige Menschen bis zu ihrem Tod leben. Zur Frage, wie viele Menschen in der letzten Phase ihres Lebens einer palliativen Versorgung und Begleitung bedürfen, ergibt sich die folgende Betrachtung: etwa 15 (-20) % aller Menschen versterben plötzlich und unerwartet (insbesondere durch Unfälle oder im Rahmen eines plötzlichen Herztodes); geschätzt etwa 10–15 % bedürfen einer spezialisierten Palliativversorgung (10 % gemäß Schätzungen in 2007 im Rahmen der Gesetzgebung bezogen auf die SAPV). Der größte Teil der Menschen – bei rund 870.000 Versterbenden jährlich (in 2012) bis zu 600.000 Menschen – aber bedarf in irgendeiner Form einer individuellen palliativen Betreuung im Rahmen der allgemeinen Palliativversorgung. Hier aber gibt es noch großen Entwicklungsbedarf. Es gibt viele gute Beispiele einer Implementierung von Hospizkultur und Palliativkompetenz, insbesondere im Bereich der stationären Altenpflege, aber auch in den allgemeinen Krankenhäusern; auf der Basis eines landesweiten Rahmenprogramms aus dem Jahr 2005 und entsprechenden Verträgen mit den Krankenkassen auch in der allgemeinen ambulanten Palliativversorgung in Nordrhein-Westfalen – über die im Jahr 2013 bundesweit neu eingeführten Abrechnungsziffern (EBM) für die haus- und kinderärztliche Palliativversorgung hinaus. Bislang aber gibt es in diesen Bereichen keine standardisierten, bundesweit flächendeckenden Entwicklungen.

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Abb. 31.4

Strukturen der allgemeinen und spezialisierten Palliativversorgung
Der spezialisierten Palliativversorgung sind im stationären Bereich die stationären Hospize und die spezialisierten Palliativstationen in Krankenhäusern zuzurechnen, im ambulanten Bereich die SAPV-Teams (Palliative Care Teams in der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung), häufig in enger Zusammenarbeit mit anderen Diensten und Berufsgruppen. Gemäß der S 3-Leitlinie Palliativmedizin (Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin 2014) ist das stationäre Hospiz Teil der allgemeinen und spezialisierten Palliativversorgung (noch nicht veröffentlicht). Die ambulanten Hospizdienste und die Ehrenamtlichen als ein wesentlicher Kern der Hospizarbeit sind wichtige Partner in der allgemeinen und spezialisierten Versorgung; im Bereich der allgemeinen Krankenhausversorgung stehen als Brücke zwischen der spezialisierten und allgemeinen Versorgung zunehmend multiprofessionelle Palliativdienste mit spezialisierten Kräften zur Beratung und Mitbehandlung schwerstkranker und sterbender Menschen zu Verfügung. Aber auch diese sind bislang strukturell und finanziell nicht abgesichert.

31.1.2.4 Hospiz- und Palliativnetzwerke

Aufgrund der oft sehr komplexen Situation bedarf es für die Betroffenen und ihre Familien häufig der Begleitung und Betreuung durch ein multiprofessionelles Team, bestehend – je nach der individuellen Situation – insbesondere aus Arzt, Pflegenden, Therapeuten, Sozialarbeitern, Seelsorgenden und ehrenamtlichen Mitarbeitern. Wichtig ist, dass diese tatsächlich als Team zusammenarbeiten, jenseits unnötiger Hierarchien.
Die Vernetzung der verschiedenen Berufsgruppen und Institutionen auf der Basis regionaler Netzwerke ist eine wichtige Voraussetzung, um im Einzelfall einen koordinierten und an den Bedürfnissen der Betroffenen orientierten ganzheitlichen, multiprofessionellen, sektoren- und berufsgruppenübergreifenden Ansatz realisieren zu können.
In solchen Netzwerken, die einer guten und möglichst neutralen Koordination bedürfen, wirken alle für die Versorgung schwerstkranker und sterbender Menschen relevanten Partner der allgemeinen und spezialisierten, ambulanten und stationären Versorgung sowie die verschiedenen relevanten Berufsgruppen in einer konkreten Region eng zusammen (Abb. 31.5). Um für jeden einzelnen Betroffenen die Versorgungskontinuität zu gewährleisten und Brüche an den Schnittstellen zwischen den Sektoren und den beteiligten Leistungserbringern zu vermeiden, bedarf es darüber hinaus einer guten Koordination im Einzelfall, eines so genannten Case-Management.

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Abb. 31.5

Das Hospiz- und Palliativnetzwerk in der Region
Teamarbeit wirklich zu realisieren, ist gerade im ambulanten Bereich eine große Herausforderung; mit der Einführung der SAPV waren erstmals auch die Etablierung ambulanter Teams und die Zusammenarbeit in vernetzten Strukturen Bestandteil der Rahmenvorgaben; der SAPV kam damit z. T. auch eine Motorfunktion zu, denn regionale Netzwerke waren und sind längst noch nicht flächendeckend etabliert.

31.1.3 Strukturen der Hospizarbeit – ambulante Hospizdienste und stationäre Hospize

31.1.3.1 Die ambulanten Hospizdienste – und die Arbeit der Ehrenamtlichen

Die ambulanten Hospizdienste bilden das Kernelement der Hospizarbeit. In ihnen und in der Arbeit der zahlreichen ehrenamtlichen Mitarbeiter kommt das gesellschaftliche Engagement für schwerstkranke und sterbende Menschen und ihre Familien in besonderer Weise zum Ausdruck. Die Ehrenamtlichen begleiten sterbende Menschen zuhause oder zunehmend auch in den Einrichtungen, in denen Menschen leben und versorgt werden (insbesondere Pflegeeinrichtungen, aber auch Einrichtungen der Behindertenhilfe, der Kinder- und Jugendhilfe sowie Krankenhäuser u. a.). Sie ermöglichen durch ihre Arbeit vor allem auch ein Sterben im vertrauten Umfeld. Die Familien und die ihnen Nahestehenden sind in die Begleitung und Unterstützung einbezogen, häufig gilt die Unterstützung in besonderer Weise auch ihnen und bezieht – mit der Trauerbegleitung – über den Tod hinaus auch die Trauerphase mit ein. Die Begleitung durch Ehrenamtliche bedeutet Zuwendung, „da sein“, Unterstützung bei den alltäglichen Dingen des Lebens, Zeit haben – Zeit, die die Hauptamtlichen in der Regel nicht haben. Ehrenamtliche leisten einen wichtigen Beitrag zur Teilhabe der schwerstkranken Menschen am Leben in der Gemeinschaft und sie sind nicht zuletzt in vielerlei Hinsicht die Brücke zwischen der Hospizbewegung und der Gesellschaft.
Ehrenamtliche Mitarbeiter werden in speziellen Befähigungskursen geschult und in regelmäßigen Treffen im Sinne einer Supervision begleitet. Die ambulanten Hospizdienste haben sich in den vergangenen Jahren im Hinblick auf ihr Leistungsspektrum stärker ausdifferenziert; neben der Sterbe- und Angehörigenbegleitung leisten viele ambulante Hospizdienste Trauerbegleitung sowie Informations- und Öffentlichkeitsarbeit und/oder bieten Einzelfallkoordination, palliative Beratung und z. T. auch palliative Pflege an. Ambulante Hospizdienste werden zunehmend durch hauptamtliche Koordinatoren unterstützt. Von derzeit rund 1.500 ambulanten Hospizdiensten (einschließlich der Hospizdienste für Kinder und Jugendliche) verfügt etwa die Hälfte über eine oder mehrere entsprechende Koordinationskräfte, in der Regel in Palliative Care weitergebildete Pflegekräfte.
Seit Aufnahme einer entsprechenden Regelung in das Sozialgesetzbuch V im Jahre 2001 (§ 39a Abs. 2 SGB V) fördern die gesetzlichen Krankenkassen unter definierten Voraussetzungen die Kosten entsprechender hauptamtlicher Fachkräfte sowie die Kosten für die Kurse zur Vorbereitung der Ehrenamtlichen und für die Begleitung der Ehrenamtlichen durch Supervision. Hinsichtlich Art und Umfang der Förderung ist zwischen dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen und den für die Hospize zuständigen Spitzenorganisationen eine Rahmenvereinbarung zu schließen. Aufgrund erheblicher, zum Teil existenzgefährdender Finanzierungsprobleme wurden die gesetzlichen Grundlagen der Finanzierung im Juni 2009 grundlegend neu geregelt; eine wichtige Basis dafür bildete eine umfassende Studie über die Hospizarbeit in Deutschland im Jahre 2009 (DHPV 2009). Die Neufassung der heute gültigen Rahmenvereinbarung wurde im April 2010 verabschiedet (Rahmenvereinbarung ambulante Hospizarbeit 2010a). Mit der Regelung aus 2009 wurde die Grundlage zur Förderung der ambulanten Hospizarbeit deutlich verbessert und für die Dienste besser kalkulierbar. Bei der Förderung werden seither auch Begleitungen in Pflegeeinrichtungen, in Einrichtungen der Behinderten- und der Kinder- und Jugendhilfe berücksichtigt. Anfang 2015 wurde nun auch eine Vereinbarung unterzeichnet, die auch die private Krankenversicherung und die Beihilfe in die Förderung einbezieht.
Bürgerschaftliches Engagement für alte, schwerstkranke und sterbende Menschen, wie es in der Arbeit der ambulanten Hospizdienste in besonderer Weise zum Ausdruck kommt, wird vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung und einer alternden Gesellschaft noch weiter an Bedeutung gewinnen. Immer mehr alten und pflegebedürftigen Menschen werden zukünftig immer weniger Menschen gegenüberstehen, die die Pflege und Betreuung leisten können. Der Arzt und Sozialpsychiater Klaus Dörner hält daher in der Zukunft einen „guten Bürger-Profi-Mix bei der Hilfe“ durch Nachbarschaftshilfe und ehrenamtliches Engagement im Stadtviertel, im Quartier, in der Dorfgemeinschaft für erforderlich (Dörner 2014a, b, S. 27 ff.). Gleichwohl muss der Grundsatz gelten, dass die Ehrenamtlichen nicht als ein Ersatz, sondern als eine Ergänzung zum hauptamtlichen System zu sehen sind.

31.1.3.2 Die stationären Hospize

Entsprechend dem Grundsatz ambulant vor stationär verstehen sich stationäre Hospize als Ergänzung der ambulanten Hospizarbeit. Sie sind in der Regel mit einem ambulanten Hospizdienst organisatorisch eng verbunden und kommen zum Tragen, wenn eine Versorgung der Schwerstkranken und Sterbenden zu Hause nicht (mehr) möglich und eine stationäre Behandlung im Krankenhaus nicht erforderlich ist. Die hospizliche Haltung, die Wünsche und Bedürfnisse der Betroffenen, ihrer Angehörigen und der ihnen Nahestehenden stehen im Mittelpunkt der Arbeit stationärer Hospize und bestimmen deren Organisation und Tagesabläufe. Die Begleitung durch Ehrenamtliche ist auch in den stationären Hospizen wesentliches Merkmal.
Hospize sind eigenständige, kleine Einrichtungen mit in der Regel 8 bis 16 Betten und einer eigenen Organisationsstruktur. Ihr Aufgabenschwerpunkt liegt in der palliativmedizinischen und palliativpflegerischen Versorgung mit Schmerztherapie und Symptomkontrolle, psychosozialer Betreuung und spiritueller Begleitung, in die die Angehörigen eng eingebunden sind. Sie stehen in der Regel unter palliativpflegerischer Leitung. Die Verweildauer in den stationären Hospizen liegt heute bei durchschnittlich 19 Tagen, im Median sogar bei nur neun Tagen (DHPV 2009); zunehmend kommen Menschen erst spät, manchmal nur wenige Tage oder sogar Stunden vor ihrem Tod in das Hospiz, so dass der Anspruch, Lebensqualität bis zuletzt zu ermöglichen, dann kaum noch realisiert werden kann. Über 90 % der in den stationären Hospizen betreuten Menschen versterben im Hospiz.
Das hauptamtliche Personal im stationären Hospiz – dies sind vor allem Pflegekräfte und Sozialarbeiter – ist in der Regel nach anerkannten Curricula in Palliative Care geschult. Dies gilt zumeist auch für die dort unterstützend tätigen Psychologen, Seelsorgenden und verschiedenen Therapeuten. Für die leitende Pflegekraft ist eine solche Qualifizierung verpflichtend. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter werden in speziellen Vorbereitungskursen geschult. Die ärztliche Betreuung erfolgt überwiegend durch niedergelassene Ärzte – Hausärzte, Fachärzte sowie Palliativmediziner. Seit einer entsprechenden Ergänzung des § 37b SGB V im Jahre 2009 werden auch die palliativärztlichen Leistungen im stationären Hospiz im Rahmen der SAPV erbracht und finanziert.
Die Finanzierung der stationären Hospize ist seit 1997 im § 39a SGB V geregelt. In der aktuellen Diskussion ist der Entwurf eines Hospiz-und Palliativgesetzes (Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit vom 18. März 2015 – Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland – Hospiz- und Palliativgesetz – HPG) mit dem zum Teil grundlegende Weiterentwicklungen in der Hospiz-Finanzierung sowie in der allgemeinen und spezialisierten Palliativversorgung vorgenommen werden sollen. Sie erfolgt in Form einer Mischfinanzierung aus Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung, der Pflegeversicherung und einem Eigenanteil der Hospize. Eine grundlegende gesetzliche Neuordnung des § 39a Abs. 1 SGB V erfolgte im Juni 2009. Diese sah vor allem vor, dass die Patienten bzw. die Hospizgäste nicht mehr zu einem Eigenbeitrag herangezogen werden durften. Damit das bürgerschaftliche Engagement auch für den stationären Hospizbereich weiterhin zum Tragen kommt und um eine Kommerzialisierung zu vermeiden, ist ein Kostenanteil von 10 % des Tagesbedarfssatzes (Kinderhospize 5 %) durch Eigenmittel der Hospize, insbesondere durch Spenden, aufzubringen. Auch für den Bereich der stationären Hospize werden die Finanzierungsvoraussetzungen im Einzelnen in einer Rahmenvereinbarung festgelegt, die zwischen dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen und den für die stationären Hospize zuständigen Spitzenorganisationen abzuschließen ist; auch die heute gültige Rahmenvereinbarung für den stationären Bereich wurde im April 2010 abgeschlossen (Rahmenvereinbarung stationäre Hospizversorgung 2010b).
Die Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung (SAPV) (s. Kap. 32) und die Palliativstationen an Krankenhäusern werden an anderer Stelle ausführlich behandelt (s. Kap. 34).

31.1.4 Perspektiven für die Zukunft: Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland und ihre Umsetzung im Rahmen einer Nationalen Strategie

31.1.4.1 Zugangsgerechtigkeit – die Herausforderungen

In den vergangenen rund 30 Jahren sind große Fortschritte erreicht worden und es ist gelungen, einen Paradigmenwechsel im Umgang mit den Themen Sterben, Tod und Trauer einzuleiten und in der Gesellschaft einen grundlegenden Bewusstseinswandel in Gang zu setzen; Hospizarbeit und Palliativversorgung und die dazu neu geschaffenen Einrichtungen sind zu einem festen Bestandteil des Gesundheitsversorgungssystems geworden. Auch heute noch aber werden viele Menschen, die einer palliativen Versorgung und Begleitung bedürfen, nicht erreicht; von einer bedarfsgerechten hospizlichen und palliativen Versorgung sind wir – gerade mit Blick auf eine älter werdende Gesellschaft – noch weit entfernt.
Hospize, Palliativstationen und SAPV-Teams sind auch heute noch nicht flächendeckend verfügbar, es gibt z. T. große regionale Unterschiede und sog. weiße Flecken besonders in ländlichen Regionen. Weniger als 10 % der jährlich versterbenden Menschen werden durch einen ambulanten Hospizdienst begleitet; rd. 3–4 % versterben in einem stationären Hospiz; etwa ebenso viele Schwerstkranke – so kann geschätzt werden – werden auf eine Palliativstation aufgenommen (s. Abschn. 31.1.2), ganz überwiegend nach wie vor Menschen mit der Diagnose Krebs; Patienten mit anderen internistischen oder neurologischen Erkrankungen haben dagegen sehr viel seltener Zugang.
Die meisten Menschen aber sterben im höheren oder hohen Lebensalter und zumeist an chronischen, vielfach Mehrfacherkrankungen, viele auch demenziell erkrankt (70 % mit über 70 Jahren; fast 50 % mit über 80 Jahren). Sie werden in ihrer letzten Lebensphase auch zukünftig ganz überwiegend in den Strukturen und Einrichtungen der Regelversorgung, d. h. der so genannten allgemeinen Palliativversorgung betreut werden – insbesondere in der ambulanten hausärztlichen und pflegerischen Versorgung, in den allgemeinen Krankenhäusern und stationären Pflegeeinrichtungen. Hier gibt es derzeit noch große Defizite hinsichtlich der Organisation, Qualifizierung und Finanzierung einer guten hospizlichen und palliativen Versorgung und Begleitung. Aber auch auf z. T. besonders vulnerable Personengruppen mit besonderen Bedürfnissen (z. B. behinderte Menschen, wohnungslose Menschen, Menschen aus anderen Kulturkreisen) ist zukünftig verstärkt der Fokus zu richten. Dies gilt in besonderer Weise auch für die besonderen Belange von Kindern und Jugendlichen mit ihren zum Teil ganz anderen Bedürfnissen als Erwachsene, die bei den weiteren Entwicklungen besonders zu berücksichtigen sind.
Die Humanität einer Gesellschaft wird sich daran messen lassen müssen, ob Menschen auch in hohem Alter, bei schwerer Krankheit, Hilfs- und Pflegebedürftigkeit auf eine Begleitung und Versorgung vertrauen können, die ihnen ein würdiges Leben bis zuletzt und ein Sterben unter würdigen Bedingungen ermöglichen. Eine der großen Herausforderungen ist es daher, die hospizliche und palliative Versorgung dem Bedarf und den Bedürfnissen der Menschen entsprechend systematisch und flächendeckend so auszubauen und weiterzuentwickeln, dass alle, die einer solchen Versorgung bedürfen, Zugang dazu erhalten – unabhängig von ihrer individuellen Situation, ihrem Alter, der Art der Diagnose oder dem Ort der Betreuung. Dazu müssen die notwendigen Rahmenbedingungen – auch hinsichtlich der Finanzierung – weiterentwickelt werden.
Das der Hospizbewegung und Palliativversorgung zu Grunde liegende Konzept muss in alle Versorgungsbereiche, in denen Menschen in dieser letzten Lebensphase betreut und versorgt werden, integriert und damit insbesondere auch die allgemeine Palliativversorgung weiterentwickelt und ausgebaut werden. Dabei geht es um die Fragen von Haltung und Wissen aller an der Versorgung beteiligten Berufsgruppen sowie um Organisations- und Qualitätsmanagementprozesse in den Einrichtungen. Offene gesellschaftspolitische, ethische und rechtliche Fragen bedürfen des Dialogs und der Auseinandersetzung in der Gesellschaft. Und bei allem wird es darauf ankommen, auch den gesellschaftlichen Prozess einer Haltungsänderung im Sinne der Hospizidee fortzuführen und zum bürgerschaftlichen Engagement zu motivieren, um auch in der Zukunft eine lebendige Hospizbewegung zu erhalten.

31.1.4.2 Von der Charta zu einer Nationalen Strategie

Im Hinblick auf die großen gesellschafts- und gesundheitspolitischen Herausforderungen einer älter werdenden Gesellschaft und den großen, oben geschilderten Entwicklungsbedarf wurde im September 2008 die Entwicklung der Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland (DGP et al. 2010) als ein breit angelegter Konsensusprozess gestartet (Abb. 31.6).

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Abb. 31.6

Die fünf Leitsätze der Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland
Ziel des Charta-Prozesses war es, den Dialog und die Auseinandersetzung mit den Themen Sterben und Tod in unserer Gesellschaft zu fördern und sich auf gemeinsame Ziele und gemeinsames Handeln zu verständigen, um die Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen und die dafür erforderlichen Rahmenbedingungen weiter zu entwickeln. Im Zentrum stehen die Rechte und Bedürfnisse schwerstkranker und sterbender Menschen und ihrer Familien. Neben zahlreichen Experten wirken über 50 Organisationen und Institutionen aus Gesellschaft und Gesundheitssystem am Konsensusgremium, dem sog. Runden Tisch mit. Das Projekt entstand aus einer internationalen Initiative auf dem Kongress der Europäischen Gesellschaft für Palliative Care (EACP) im Jahr 2007. Initiatoren und Träger des Charta-Prozesses sind die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP), der Deutsche Hospiz- und PalliativVerband (DHPV) und die Bundesärztekammer (BÄK), die auch den Prozess insgesamt seither steuern und moderieren. Im September 2010, nach nur zwei Jahren, wurde die Charta mit ihren fünf Leitsätzen im Konsens verabschiedet und der Öffentlichkeit vorgestellt.
Die fünf Leitsätze der Charta beziehen sich auf die gesellschaftspolitischen Herausforderungen, die Anforderungen an die Versorgungsstrukturen, Fragen der Aus-, Weiter- und Fortbildung, der Wissenschaft und Forschung sowie Fragen der internationalen Zusammenarbeit; ihnen ist der Satz vorangestellt: „Jeder Mensch hat ein Recht auf ein Sterben unter würdigen Bedingungen“. Die Charta ist inzwischen zu einer Nationalen Strategie weiter entwickelt worden (Weihrauch 2014a, b; s. Abb. 31.7); im Rahmen dieser Nationalen Strategie geht es nun darum – auch mit Unterstützung der Politik – ihre Ziele und Empfehlungen Schritt für Schritt systematisch und verbindlich umzusetzen. Unter Federführung des Bundesministeriums für Gesundheit wurde dazu im Sommer 2013 ein weiterer Baustein im Charta-Prozess – das Forum für die Palliativ- und Hospizversorgung in Deutschland – etabliert. Zentrales Diskussions- und Konsensusgremium ist auch weiterhin der Runde Tisch der wesentlichen Akteure; von ihm wurden im Februar 2014 in Zuordnung zu den fünf Leitsätzen 15 prioritäre Handlungsfelder beschlossen, für die nunmehr in Arbeitsgruppen unter Beteiligung von insgesamt fast 200 Experten konkrete Umsetzungspläne erarbeitet werden. Grundlage der aktuellen Gesetzgebung sind auch die Diskussionen zur Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen und im Forum für die Palliativ- und Hospizversorgung. Der Charta-Prozess wurde von Beginn an durch die Robert Bosch Stiftung (RBS) gefördert und darüber hinaus vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) sowie der Deutschen Krebshilfe unterstützt.

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Abb. 31.7

Der Charta-Prozess: Organisation der Nationalen Strategie (mit freundlicher Genehmigung der Charta-Steuerungsgruppe von DGP/DHPV/BÄK)
Die Charta hat wegweisende Bedeutung und sie ist ein Meilenstein zur Verwirklichung der Rechte schwerstkranker und sterbender Menschen. Die Charta ist seit ihrer Verabschiedung auf große Resonanz gestoßen. Sie hat auf allen Ebenen zu Diskussionen und Initiativen angeregt, insbesondere bei zahlreichen Organisationen vor Ort, bei Städten und Gemeinden – dort, wo die Betreuung der Menschen realisiert werden muss. Mehr als 13.000 Organisationen und Einzelpersönlichkeiten haben inzwischen die Charta unterzeichnet und damit ihre Bereitschaft erklärt, ihre Ziele und deren Umsetzung zu unterstützen. Zugangsgerechtigkeit und Letztverlässlichkeit – mit diesen Begriffen sind die Handlungsfelder der ersten beiden Charta-Leitsätze überschrieben: Menschen, die einer hospizlich-palliativen Versorgung und Begleitung bedürfen, müssen darauf vertrauen können, dass ihnen diese auch zur Verfügung steht. Ziel ist es, dass alle, die in diesem Bereich Verantwortung tragen, daran mitwirken, die in der Charta konsentierten Ziele und Empfehlungen auch umzusetzen.
Literatur
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Nov 5, 2016 | Posted by in CRITICAL CARE | Comments Off on Hospizbewegung und Palliativmedizin in Deutschland – Ziele, Konzept und Entwicklung

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