Hirntod – Bedingung von Organspenden nach dem Tod




© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016
Arnd T. May, Hartmut Kreß, Torsten Verrel und Till Wagner (Hrsg.)Patientenverfügungen10.1007/978-3-642-10246-2_28


28. Hirntod – Bedingung von Organspenden nach dem Tod



Heinz Angstwurm 


(1)
Kontakt über die Neurologische Klinik und Poliklinik der Ludwig-Maximilian-Universität München, München, Deutschland

 



 

Heinz Angstwurm




28.1 Der medizinische Sachverhalt


Das Wort Hirntod besagt, was es bezeichnet: Das Gehirn ist abgestorben. Mit dem Ende des 18. Jahrhunderts (Bichat 1796) entsprechend Herztod und Lungentod geprägten Wort sollte jeweils das Organ benannt werden, dessen Ausfall den unmittelbaren Todeseintritt darstellt. Der Funktionsverlust eines dieser Organe bedingt gewöhnlich in so kurzer Zeit den Ausfall der anderen, dass dies jeweils als Ereignis erscheint und nicht als Ablauf deutlich wird. Daher blieb die alte Unterscheidung verschiedener atria mortis (lat. „Eintrittspforten des Todes“) bis zur zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts praktisch bedeutungslos.

Erst die Entdeckung, dass ein Herzstillstand möglicherweise behoben werden kann, machte ihn als Todeseintritt und seinen Zeitpunkt als Uhrzeit des Todes(eintritts) ungewiss. Die intensivmedizinische Möglichkeit, den hirnbedingten Ausfall des Atemantriebs und der Herz- und Blutdrucksteuerung zu ersetzen, ließ und lässt den Ausfall der übrigen Organe so lange hinausschieben, dass vom dissoziierten (vom Tod der anderen Organe und des übrigen Körpers getrennten) Hirntod gesprochen, jedenfalls der Zeitabstand zum Funktionsverlust der übrigen Organe offenbar und praktisch wichtig werden konnte.

Die Realität des Hirntods als Tod des Gehirns vor dem Tod der anderen Organe wurde erstmals 1959 (Mollaret und Goulon 1959; Mollaret et al. 1959) durch die innere Leichenschau bestimmter Patienten erwiesen: Die dem Tod folgende Auflösung und Zersetzung war am Gehirn weiter als am übrigen Körper fortgeschritten. Dieser Unterschied zwischen dem Gehirn und den anderen Organen war umso deutlicher, je länger über den Hirnausfall hinaus intensivmedizinisch die Herztätigkeit und somit die Blutversorgung und die Tätigkeit der anderen Organe aufrechterhalten worden waren.

Alles dies ließ auch erkennen, dass der Hirntod letztlich unabhängig von der jeweiligen Grunderkrankung oder Schädigung durch den Ausfall der Hirndurchblutung eintritt. Zum Stillstand der Blutversorgung des Gehirns kommt es dann, wenn der Druck in der knöchernen Schädelkapsel den für die Hirndurchblutung nötigen Blutdruck übersteigt. Dies kann durch Gehirnschwellung infolge von Verletzungen, Blutungen, Geschwülsten, Abszessen, Verschlüssen von Blutleitern etc. geschehen, wobei verschiedene Krankheiten schon ihrerseits den Schädelinhalt vermehren und so den Hirndruck erhöhen können. Zu Hirnschwellungen führen können auch verschiedene Stoffwechselstörungen und ein vorübergehender Blut- und Sauerstoffmangel wie bei einem sonst erfolgreich behandelten Herzstillstand. Demgemäß werden die Ursachen des Hirntods unterteilt in primäre strukturelle Läsionen (Schädigungen) des Gehirns selbst und sekundäre Auswirkungen anderer Organschäden auf das Gehirn (metabolische Enzephalopathien).

Während der Intensivbehandlung kann der Tod des Gehirns nicht wie bei der inneren Leichenschau als Gewebebefund (morphologisch), sondern muss durch seine Folge auf die Hirntätigkeit nachgewiesen werden, nämlich als vollständiger und unabänderlich endgültiger Ausfall der Gesamtfunktion des Organs. Die dazu erforderlichen Untersuchungen sind in Deutschland standardisiert und müssen gemäß §§ 3 und 16 des Transplantationsgesetzes (TPG) dem von der Bundesärztekammer in Richtlinien festzustellenden Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechen. Dieser vom Wissenschaftlichen Beirat der Bundesärztekammer festgestellte wissenschaftliche Erkenntnisstand findet Ausdruck in den zuletzt Anfang 2015 fortgeschriebenen Richtlinien zur Feststellung des Hirntods, die nunmehr die Bezeichnung „Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG für die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG und die Verfahrensregeln zur Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG“ tragen. Sie erlauben in Zweifelsfällen auch eine rückschauend sichere Beurteilung. Die der Hirntodfeststellung zugrunde liegenden Untersuchungsergebnisse und ihr Zeitpunkt müssen von zwei dafür qualifizierten Ärzten, die den Patienten unabhängig voneinander untersucht haben, unverzüglich jeweils in einer gesonderten Niederschrift aufgezeichnet und unterschrieben werden. § 5 TPG schreibt zudem vor, dass dem nächsten Angehörigen sowie entsprechenden Personen (§ 4 Abs. 2 S. 5 und Abs. 3 TPG) Gelegenheit zur Einsichtnahme in die Dokumentation der Hirntodfeststellung zu geben ist, wozu eine Vertrauensperson hinzugezogen werden kann. Ärztlich empfiehlt es sich, Angehörigen nach persönlicher Vorbereitung anzubieten, bei den Untersuchungen zuzuschauen und sich dadurch selbst sowohl von den Befunden wie von der Sorgfalt der Diagnostik zu überzeugen. Hierdurch können Vertrauen bewirkt und die Akzeptanz ärztlicher Auskünfte erleichtert werden.

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Nov 5, 2016 | Posted by in CRITICAL CARE | Comments Off on Hirntod – Bedingung von Organspenden nach dem Tod

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