Ethische Grundlehren der buddhistischen Traditionen im Blick auf das Lebensende




© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016
Arnd T. May, Hartmut Kreß, Torsten Verrel und Till Wagner (Hrsg.)Patientenverfügungen10.1007/978-3-642-10246-2_9


9. Ethische Grundlehren der buddhistischen Traditionen im Blick auf das Lebensende



Jens Schlieter 


(1)
Institut für Religionswissenschaft und Center for Global Studies, Universität Bern, Lerchenweg 36, 3012 Bern, Schweiz

 



 

Jens Schlieter



Die Lehren und ethischen Paradigmen des Buddhismus spielen mittlerweile nicht mehr nur in Asien, sondern auch in westlichen Ländern eine bedeutende Rolle. Allerdings führen strukturelle Besonderheiten der buddhistischen Traditionen auch zu einer außerordentlichen Vielfalt der (bio-)ethischen Lehren. Von den monotheistischen Religionen unterscheiden sich die Buddhismen grundlegend. In den beiden großen buddhistischen Hauptlinien der Mahāyāna– (Tibet, Mongolei, Vietnam, China, Korea und Japan) und der Theravāda-Schule (insb. Süd- und Südostasien) fehlen traditionsübergreifende zentrale Institutionen. Dies hat zur Folge, dass zu (bio-)ethischen Fragen bisher praktisch keine verbindlichen buddhistischen Grundsatzerklärungen vorliegen. Je nach persönlicher Religiosität, sozialer Stellung, kulturellem Hintergrund und der jeweiligen Schulzugehörigkeit oszillieren die Anschauungen zwischen strikter Observanz und liberaler Auslegung der ethisch-moralischen Grundhaltungen.


9.1 Ethik im Buddhismus


Zu den zentralen Grundlagen der Sittlichkeit gehört in allen buddhistischen Traditionen die Selbstverpflichtung des Nicht-Verletzens. Es stellt eines der „fünf Grundgebote der Sittlichkeit“ dar und gebietet, vom „Töten lebender Wesen“ Abstand zu nehmen. Darunter fällt auch die Selbsttötung, die in vielen Texten als unheilsam erachtet wird. Zur Einschätzung der Schwere von Tötungsvergehen, d. h. ob und in welchem Ausmaß sie als unheilsam angesehen werden, gehört entscheidend die Frage nach der handlungsleitenden Intention, der Handlungsabsicht.

Die philosophisch-religiösen Lehren des Buddhismus gehen von einer leidhaften Welt aus, die von den Menschen in zahllosen Wiedergeburten erfahren wird. So heißt es in der ersten der „vier edlen Wahrheiten“, die zu den zentralen Lehren des historischen Buddha Siddhartha Gautama (5./4. Jh. v. Chr.) gehören: „Geburt ist Leiden, Alter ist Leiden, Krankheit ist Leiden, Sterben ist Leiden“. Die Leiden durch Krankheit, insb. auch am Lebensende, gehören nach dem Buddha also zur menschlichen Existenz. Durch sittliches Handeln, meditative Praxis und die Heilswirksamkeit von Erkenntnis bzw. Weisheit soll letztendlich eine erneute Wiedergeburt verhindert werden, um das Heilsziel, das Nirvāna (Sanskrit „verwehen, erlöschen“), zu erreichen.

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Nov 5, 2016 | Posted by in CRITICAL CARE | Comments Off on Ethische Grundlehren der buddhistischen Traditionen im Blick auf das Lebensende

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