Einwilligungsfähigkeit – Geschäftsfähigkeit – freier Wille

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Arnd T. May , Hartmut Kreß , Torsten Verrel, and Till Wagner (eds.), Patients’ Registrations 10.1007 / 978-3-642-10246-2_15

15. Consentability – Business ability – Free will

Tobias Fröschle  
(1)

Faculty III: Economics, Business Informatics, Business Law, University of Siegen, Kohlbettstr. 15, 57068 Siegen, Germany
Tobias Fröschle

If a decision which he has made is to be granted to a person without restriction, he must be supported by his free will. A legal transaction such as the granting of a power of attorney therefore presupposes the ability to consent to an intervention in one’s own body.

15.1 Free will

Where the legal system is linked to the behavior of a human right, it first requires that the person concerned was aware of his behavior. His behavior is then borne by a natural will -and thus only action in the case, to which the active action belongs as well as the omission. There is, for example, no need for a natural action in the case of movements in sleep or unconsciousness and in the case of violently enforced behavior (Eisele 2014 , Vor §§ 13 ff., Margins 37 ff.).
Wenn das Verhalten eines Menschen Rechtsfolgen erzeugen soll, muss der Wille, von dem es getragen ist, von einer Qualität sein, die dies rechtfertigt. Es muss sich um einen im Rechtssinne freien Willen gehandelt haben. Das Gesetz geht hiervon freilich zunächst aus. Frei ist der Wille, wenn es an rechtlich relevanten Willensmängeln fehlt.
Rechtsgeschäft und nicht freier Wille
Wo es um die Vornahme von Rechtsgeschäften wie den Abschluss von Verträgen oder auch die Erteilung einer Vollmacht geht, sind es fünf Gründe, die – mit jeweils unterschiedlichen Konsequenzen – die Annahme eines nicht freien Willens rechtfertigen können, nämlich:

1.

mangelnde Reife (§§ 104 Nr. 1, 106 ff. BGB)
2.

Krankheit oder Behinderung (§§ 104 Nr. 2, 105, 105a, 1903 BGB)
3.

bestimmte – nicht alle – Irrtümer (§§ 119 ff. BGB) und
4.

die Anwendung einer List oder Drohung (§§ 123 BGB) oder
5.

das Ausnutzen einer Einschränkung der Entscheidungsfreiheit, um einen anderen zu übervorteilen (§ 138 Abs. 2 BGB), wie z. B. das Überreden eines Menschen mit geistigen Einschränkungen, um ihm ein überteuertes Produkt zu verkaufen.
Reife erwirbt der junge Mensch im Rahmen seiner körperlichen, geistigen und sozialen Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen. Der Gesetzgeber hat das Recht, sie durch feste Altersgrenzen zu typisieren, wobei er unterschiedliche Altersgrenzen für unterschiedliche Zusammenhänge (sog. Teilmündigkeiten) festlegen kann.
Eintritt der Volljährigkeit
Für alle rechtsgeschäftlichen Zusammenhänge ist § 2 BGB weichenstellend:
  • Für den noch nicht 18 Jahre alten Minderjährigen ist die Annahme eines freien Willens die begründungsbedürftige Ausnahme.
  • Beim Volljährigen ist es dagegen umgekehrt: Da seine ausreichende Reife vom Gesetz unterstellt wird, bedarf es stets einer besonderen Begründung, weshalb sein in bestimmtem Zusammenhang geäußerter Wille kein freier gewesen sein soll.

15.2 Geschäftsunfähigkeit

Ein im Zustand der Geschäftsunfähigkeit vorgenommenes Rechtsgeschäft ist nichtig (§ 105 Abs. 1 BGB). Das gilt für Verträge aller Art, auch für den Arztvertrag, aber auch für einseitige Rechtsgeschäfte wie eine Vollmacht (nicht jedoch für die Patientenverfügung). Wer geschäftsunfähig ist, kann weder die Vollmacht selbst erteilen noch den Auftrag (§ 662 BGB) an den Bevollmächtigten, der diesen überhaupt erst zum Handeln verpflichtet (Roth 2014, Teil C Rn. 53 ff.).
Geschäftsunfähig ist nach § 104 Nr. 2 BGB, wer sich in einem nicht nur vorübergehenden Zustand „krankhafter Störung der Geistestätigkeit“ befindet, der ihm die Fähigkeit zur Bildung eines freien Willens nimmt. Die „krankhafte Störung“ kann sowohl in einer Krankheit als auch in einer geistigen oder seelischen Behinderung bestehen. Die Frage, was ein freier Wille ist, ist hiermit im Zusammenhang zu sehen: Er ist unfrei, wenn er entscheidend von der Krankheit oder Behinderung beeinflusst ist (BGH NJW 1953, S. 1342). Aber auch das Umgekehrte gilt: Als Krankheit oder Behinderung ist im Rahmen von § 104 Nr. 2 BGB nur relevant, was die Fähigkeit zur freien Willensbildung entscheidend beeinträchtigt. Das hängt allerdings auch von praktischen Überlegungen ab. Soll die Geschäftsunfähigkeit nach § 104 Nr. 2 BGB eine Ausnahme bleiben, darf sie durch Massenphänomene nicht in Frage gestellt werden. So ist zum Beispiel anerkannt, dass eine Suchterkrankung ohne weitere Diagnose keine Krankheit i. S. v. § 104 Nr. 2 BGB ist (BayObLG NJW 1990, S. 774). Bei weitem nicht jede psychiatrische Diagnose ist daher für § 104 Nr. 2 BGB relevant. Umgekehrt kann aber ohne jede Diagnose Geschäftsunfähigkeit ebenfalls nicht angenommen werden. Der bloße Verdacht einer Erkrankung genügt daher nicht (BGH MDR 2014 S. 1408).

15.2.1 Kriterien

Da die Geschäftsunfähigkeit einen Zustand beschreibt, muss sie grundsätzlich unabhängig von einem konkret vorgenommenen Geschäft abstrakt beurteilt werden.
Geschäftsunfähigkeit
Ihre Annahme erfordert dreierlei:
1.

eine psychische Krankheit oder geistige bzw. seelische Behinderung
2.

die Feststellung der Unfähigkeit zur Bildung eines freien Willens
3.

wegen der diagnostizierten Störung (kausaler Zusammenhang).
In diesem Sinne ist geschäftsunfähig, wer seine Entscheidungen nicht von auf der Grundlage der wirklich gegebenen Tatsachen vorgenommenen, vernünftigen Erwägungen abhängig machen kann, und zwar gerade, weil ihn die Krankheit oder Behinderung daran hindert (BGH NJW 1996, S. 918). Das kann an jedem Punkt des Entscheidungsprozesses der Fall sein. Es ist gleichgültig, ob es an der Fähigkeit fehlt, die Zusammenhänge richtig zu erkennen (Einsichtsfähigkeit) oder an derjenigen, solche Erkenntnis in einer Entscheidung zu verarbeiten (Steuerungsfähigkeit, BGH FamRZ 2014 S. 1626). Wahnerkrankungen können bereits das Erkennen der entscheidungsrelevanten Tatsachen unmöglich machen; schwere Störungen des Kurzzeitgedächtnisses können verhindern, sich an erkannte Tatsachen lange genug zu erinnern. Eine Behinderung kann so schwer sein, dass überhaupt keine Fähigkeit zu vorausschauendem Denken und zur Planung vorhanden wäre. Und schließlich kann derjenige, der zwar all das erkennen und abwägen kann, außerstande sein, daraus einen eigenen Willen zu formen, z. B. weil seine Krankheit zu extrem gesteigerter Suggestibilität führt.
Stets erfordert Geschäftsunfähigkeit die völlige Unfähigkeit zur freien Willensbildung. Eine bloße Beeinträchtigung einer der genannten Fähigkeiten kann eine Betreuerbestellung begründen, ggf. auch für die Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes ausreichen. Geschäftsunfähigkeit bedeutet sie dennoch nicht. So ist z. B. leichte Beeinflussbarkeit noch kein ausreichender Grund, einen nicht mehr freien Willen anzunehmen, sondern erst, wenn sie so stark ausgeprägt ist, dass dieser Außeneinfluss übermächtig ist und eigene Überlegungen gänzlich verdrängt.
Maßstab der Geschäftsunfähigkeit
Der Maßstab, an dem dies alles zu messen ist, ist ein nicht besonders schwieriges Rechtsgeschäft (BGH NJW 1970, S. 1680).
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Bei der Betrachtung bleiben allerdings all jene alltäglichen Geschäfte außen vor, die wir eher mechanisch verrichten, ohne dabei noch irgendwelche Überlegungen anzustellen, wie zum Beispiel der Kauf einer Zeitung am Kiosk (Schmitt 2012, § 104 Rn. 15). Dass solche Geschäfte im Übrigen auch bei Geschäftsunfähigen wirksam sein können, ist in § 105a BGB geregelt, freilich in ganz unglücklicher Weise. So ist zum Beispiel unverständlich, weshalb ein Geschäftsunfähiger, der den Vertrag voll erfüllt hat, nicht seinerseits auf Erfüllung klagen können soll (Kohler 2004, S. 348 f.).
Abgestufte Geschäftsunfähigkeit gibt es nicht (NJW 1970, S. 1680). Zur Mündigkeit gehört es, Geschäfte, die man nicht durchschaut, entweder nicht vorzunehmen oder einen Fachmann zur Prüfung hinzuzuziehen. Dafür, dass ein volljähriger Bürger im Übrigen nicht einfach übervorteilt werden kann, sorgt das Verbraucherschutzrecht.
Dagegen ist die Möglichkeit partieller Geschäftsunfähigkeit anerkannt, dann nämlich, wenn nur einzelne Lebensbereiche von der Symptomatik der Krankheit erfasst werden. Vor allem lösen Wahnvorstellungen Geschäftsunfähigkeit nur aus, soweit sie reichen. Ein Wahn, der lediglich das Verhältnis zum Vermieter erfasst, kann daher nur für die diese Wohnung betreffenden Geschäfte geschäftsunfähig machen (BayObLG NJW 1992, S. 2100).

15.2.2 Feststellung durch Notare

Geschäftsunfähigkeit ist kein Zustand, der von irgendeiner Instanz verbindlich festgestellt würde. Vielmehr ist sie immer nur in Verfahren zu prüfen, in denen sie als Einwand eine Rolle spielt. Sie wird im Rahmen des betreffenden Verfahrens und nur mit Wirkung für dieses festgestellt. Das kann im Rechtsverkehr zu Problemen führen. So kann z. B. ein Bevollmächtigter Schwierigkeiten haben, als Vertreter des Vollmachtgebers akzeptiert zu werden, wenn Zweifel bestehen, ob der Vollmachtgeber bei der Errichtung der Vollmacht nicht womöglich schon geschäftsunfähig war. Es kann dann trotz Vorliegens einer Vorsorgevollmacht doch die Bestellung eines Betreuers erforderlich sein (BayObLG FamRZ 2004, S. 1814). Aus diesem Grund sind Notare nach dem Beurkundungsgesetz (BeurkG) gehalten, bei der Errichtung einer Vollmachtsurkunde die Geschäftsfähigkeit des Vollmachtgebers zu prüfen, wenn sie dazu Anlass haben. Hierfür genügt es, dass der Vollmachtgeber schwer krank ist (§ 11 Abs. 2 BeurkG).
Hat ein Notar Zweifel an der Geschäftsfähigkeit des Vollmachtgebers, muss er diese in der Niederschrift erwähnen (§ 11 Abs. 1 S. 2 BeurkG). Das macht die Urkunde praktisch wertlos. Deshalb kann der Notar in diesem Fall auch dem Vollmachtgeber aufgeben, diese Zweifel durch Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses oder Gutachtens auszuräumen. Ist der Notar von der Geschäftsunfähigkeit überzeugt, muss er die Beurkundung ablehnen (§ 11 Abs. 1 S. 1 BeurkG).
Zwar ist die Feststellung des Notars nicht bindend. Auch wenn er keine Zweifel an der Geschäftsfähigkeit hatte, kann sie später bestritten werden. Dennoch ist die notarielle Beurkundung einer Vollmacht eine gute Möglichkeit, Zweifel an der Geschäftsfähigkeit – und damit an der wirksamen Bevollmächtigung – gar nicht erst aufkommen zu lassen.

15.3 Einwilligungsfähigkeit

Medizinische Behandlungen erfüllen nach ständiger Rechtsprechung des Reichsgerichts vom 31.05.1894 den Tatbestand der Körperverletzung (begründet durch das Reichsgericht in RGSt 25, S. 375). Soweit die Literatur dies auf nicht kunstgerecht durchgeführte Behandlungen beschränken will, kommt sie praktisch kaum zu anderen Ergebnissen, weil sie die Beachtung des Selbstbestimmungsrechtes des Patienten zu den Regeln der ärztlichen Kunst rechnet (Schiemann 2011, § 823 Rn. 135). Medizinische Behandlungen begründen demnach Strafbarkeit (§ 223 StGB) und Schadensersatzansprüche (§§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB), wenn sie nicht gerechtfertigt sind.
Grundsätzlich ist die Einwilligung des Patienten als Rechtfertigung erforderlich (§ 630d Abs. 1 S. 1 BGB). Da der Patient damit über eines seiner Rechtsgüter verfügt, genügt es nicht, dass er der Behandlung lediglich zustimmt. Die Einwilligung muss vielmehr von seinem freien Willen getragen sein. Da es sich bei dem Recht am eigenen Körper um ein untrennbar mit der Person verbundenes höchstpersönliches Recht handelt, kann die Wirksamkeit der Einwilligung in die Körperverletzung nicht wie ein Rechtsgeschäft (s. o. Abschn. 15.2.1) anhand der Fähigkeit zur Vornahme eines durchschnittlich schwierigen Geschäfts gemessen werden (Lenckner und Sternberg-Lieben 2014, Vor § 32 Rn. 39, 40). Sie ist vielmehr an dem jeweils konkret vorhandenen freien Willen zu messen. Voraussetzung ist auch hier sowohl Einsichtsfähigkeit als auch Steuerungsfähigkeit.
Auch hier besteht zwischen Volljährigen und Minderjährigen ein Unterschied. Aus § 2 BGB folgt, dass mangelnde Reife ab dem 18. Geburtstag als Einschränkung der Willensfreiheit von vorneherein außer Betracht bleibt. Für die Einwilligungsfähigkeit gilt daher: Sie bedarf bei Minderjährigen stets der besonderen Begründung. Bei Volljährigen muss dagegen nur der Ausnahmefall fehlender Einwilligungsfähigkeit besonders begründet werden.

15.3.1 Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger

Für Minderjährige gilt, dass sie einwilligungsfähig sind, wenn sie nach ihrer geistigen und sittlichen Reife die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und der Einwilligung in ihn erfassen können (BGHZ 29, S. 33). Das ist anhand des konkreten Eingriffs und der individuellen Reife des einwilligenden Minderjährigen zu bestimmen. Je schwerwiegender der Eingriff ist, desto höher sind die Anforderungen an die Reife. Typisierungen, welche die Literatur zum Teil vornimmt (s. dazu Taupitz 2000, S. A69 ff.), sind nicht angebracht.
Beurteilung je nach Eingriff
Je nach Bedeutung des Eingriffs kann die Einwilligungsfähigkeit einem 17jährigen durchaus fehlen und bei einem unter 14 Jahre alten Kind schon vorhanden sein. Gerade eine längere, schwere Krankheit kann bei Jugendlichen Reifungsprozesse beschleunigen.

15.3.2 Einwilligungsunfähigkeit Volljähriger

Bei Volljährigen dagegen bedarf nicht die Einwilligungsfähigkeit, sondern ihr Fehlen der besonderen Feststellung. Ihre Beurteilung gleicht auch sonst derjenigen der Geschäftsunfähigkeit, allerdings mit zwei bedeutsamen Unterschieden: Es kommt erstens nicht darauf an, ob Krankheit oder Behinderung die Fähigkeit zur freien Willensbildung für ein typisches Durchschnittsgeschäft ausschließen, sondern ob dies gerade in Bezug auf die konkret anstehende Behandlung der Fall ist. Und es ist zweitens nicht entscheidend, ob der Zustand des Patienten, der ihn zur freien Willensbildung unfähig macht, ein dauerhafter oder vorübergehender ist (BGH NJW 1993, S. 2372).
Nicht einwilligungsfähig ist ein Volljähriger danach, wenn er wegen einer Krankheit oder Behinderung nicht erfassen kann, „a) welchen Wert oder Rang die von der Einwilligungsentscheidung berührten Güter und Interessen für ihn haben, b) um welche Tatsachen es bei der Entscheidung geht, c) welche Folgen und Risiken sich aus der Einwilligungsentscheidung ergeben und d) welche anderen Mittel es zur Erreichung der mit der Einwilligung erstrebten Ziele gibt, die ihn möglicherweise weniger belasten“ (Amelung 1995) oder wenn er nicht in der Lage ist, nach diesen Einsichten auch zu handeln.
Fragenkatalog
Das lässt sich beim psychisch kranken Patienten in den von Winterstein (1999, S. 23) vorgeschlagenen Fragenkatalog umsetzen:
1.

Leidet der Patient zum Zeitpunkt der Einwilligung an einer psychiatrischen Erkrankung?
2.

Verfügt der Patient über eine Krankheitseinsicht, insbesondere zu Art und Schwere der Erkrankung (Realitätsbezug)?
3.

Kann der Patient gegebene Informationen in vollem Umfang verstehen (Liegen Beeinträchtigungen der Wahrnehmung, des Erkennens oder Gedächtnisstörungen vor)?
4.

Kann der Patient die gegebenen Informationen nutzen, um zu einer Klärung zu gelangen (Urteils- und natürliche Einsichtsfähigkeit eingeschränkt)?
5.

Verhält der Patient sich so, als könne er Wahlmöglichkeiten nutzen (Entscheidungsfähigkeit eingeschränkt)?
6.

Ist seine Einwilligungserklärung konstant (natürliche Steuerungsfähigkeit eingeschränkt)?
Nach Kröber (1998, S. 45) ist alles, „was Ausdruck erhaltener Routineleistungen von Kommunikation und Handlung ist, welche nicht auf spezifische Anforderungen exakt abgestimmt werden müssen“ kein Zeichen für Einwilligungsfähigkeit, und er führt dazu aus, dass nachfolgende Zeichen nicht schon für vorhandene Einwilligungsfähigkeit sprechen:
Keine zwangsläufigen Zeichen für Einwilligungsfähigkeit sind:
1.

Freundliche Zugewandtheit, affektive Ausgeglichenheit und vermeintliche Aufmerksamkeit in der Aufklärungssituation.
2.

Einfache, freundliche, ja betonte Versicherung, man habe verstanden und sei einverstanden.
3.

Fähigkeit zur Reproduktion von Schlüsselbegriffen soeben gehörter Sätze.
4.

Fähigkeit zum orthographisch korrekten Schreiben mit ungestörtem Schriftbild.
5.

Fähigkeit zum kürzeren oder längeren small talk.
Besondere Bedeutung in der klinischen Aufklärungssituation hat die andauernde Rückfrage an den Patienten, „wie der Patient seine jetzige Situation versteht… welche Konsequenzen und Risiken seiner Entscheidung er wahrnimmt… [und]… welche Alternativen zu seiner Entscheidung er sieht und wie er diese bewertet, warum er sich gegen diese entscheidet“ (Kröber 1998, S. 45).
Hierbei darf allerdings nicht übersehen werden, dass ein einwilligungsfähiger Patient keineswegs verpflichtet ist, sich über den Eingriff eingehend beraten zu lassen, er vielmehr gerade auch das Recht hat, die Beratung abzulehnen und sich stattdessen dem Urteil des Arztes anzuvertrauen (BGH NJW 1973, S. 556, siehe jetzt auch § 630e Abs. 3 BGB).

15.3.3 Einwilligungsfähigkeit als Wirksamkeitsvoraussetzung einer Patientenverfügung

§ 1901a Abs. 1 S. 1 BGB bestimmt, dass eine Patientenverfügung für den Betreuer nur dann verbindlich sein kann, wenn sie von einem einwilligungsfähigen Volljährigen schriftlich abgefasst ist. Damit ist zunächst klargestellt, dass Minderjährige keine wirksame Patientenverfügung errichten können. Eine vor dem 18. Geburtstag verfasste Patientenverfügung kann jedoch bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens des betreffenden Patienten nach § 1901a Abs. 2 BGB eine Rolle spielen.
Soweit § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB ferner Einwilligungsfähigkeit voraussetzt, verlangt das nicht mehr und nicht weniger, als dass die Bestimmungen in der Patientenverfügung zum Zeitpunkt ihrer Errichtung vom freien Willen des Verfassers getragen sein müssen. Die besondere Schwierigkeit besteht darin, dass dies meist losgelöst von einer konkreten Behandlungssituation beurteilt werden muss, denn bei der Abfassung der Verfügung befand sich der Patient ja nicht in einer solchen. Zu den oben genannten Fähigkeiten muss demnach noch diejenige hinzutreten, sich in die in der Verfügung beschriebene Situation vorausblickend hineinzuversetzen.
Maßgeblich für die Prüfung der Fähigkeit zur freien Willensbildung dürften wiederum die in der Verfügung konkret angesprochenen Behandlungen sein. Das kann dazu führen, dass für einen Teil dieser Behandlungen Einwilligungsfähigkeit zu bejahen, für einen anderen zu verneinen ist. Enthält die Verfügung zusätzlich eine Vollmacht, so ist diese nur bei Geschäftsfähigkeit des Patienten zum Zeitpunkt der Errichtung wirksam. Dabei kann eine partielle, auf Gesundheitsangelegenheiten beschränkte Geschäftsfähigkeit durchaus in Frage kommen (Schwab 2012a, § 1896 Rn. 50).
Eine Frage, die § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB aufwirft, ist die der Feststellungslast. Anders als §§ 104, 105 BGB deutet die Formulierung der Norm darauf hin, dass die Einwilligungsfähigkeit des Patienten zum Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung feststehen muss. Sie ist als Wirksamkeitsvoraussetzung formuliert, nicht ihr Fehlen als Wirksamkeitshindernis. Das wird man jedoch kaum annehmen können. Denn wie soll ggf. nach Jahren positiv festgestellt werden, ob der Patient zum Zeitpunkt der Errichtung seiner Verfügung einwilligungsfähig war? Daher muss es auch hier bei dem allgemeinen Grundsatz bleiben, dass ein Volljähriger mangels Nachweises seiner Handlungsunfähigkeit als handlungsfähig zu gelten hat.
Der Gesetzgeber hat entgegen dem Vorschlag im Bosbach-Entwurf (vgl. BT-Drs. 16/11360, S. 4) davon abgesehen, eine Aufklärung des Patienten über den Inhalt der Patientenverfügung vorzuschreiben. Das ist insofern konsequent, als der Patient ja auch in der konkreten Behandlungssituation auf sie verzichten kann. Es kann aber die Unsicherheiten bei der Auslegung einer Patientenverfügung verstärken. Sie ist nach § 133 BGB ohne strenge Bindung an den Wortlaut auszulegen. Entscheidend ist nicht, was der Patient geschrieben hat, sondern was er damit tatsächlich zum Ausdruck bringen wollte. Das ist freilich umso schwieriger zu beurteilen, je weniger der Patient seine Entscheidung auf einer umfassenden Tatsachengrundlage getroffen hat, vor allem, wenn er Ausdrücke verwendet, die der Medizin so unbekannt sind. Wenn er z. B. schreibt, er wolle nicht künstlich am Leben erhalten werden, ist zu hinterfragen, ob er damit tatsächlich auch die vorübergehende Beatmung während einer Narkose gemeint haben kann. Er kann damit auch nur die Reanimation gemeint haben. Das ist ggf. aus dem Zusammenhang seiner Erklärung zu erschließen. Damit die Bindungswirkung der Patientenverfügung (§ 1901a Abs. 1 S. 2 BGB) nicht am Ende an solchen Auslegungsschwierigkeiten scheitert, ist die ärztliche Beratung vor ihrer Errichtung zu empfehlen.
Nicht klar ist auch, unter welchen Voraussetzungen der Widerruf der Patientenverfügung wirksam ist. § 1901a Abs. 1 S. 3 BGB stellt lediglich klar, dass er nicht der Schriftform bedarf. Ob er seinerseits nur im einwilligungsfähigen Zustand erklärt werden kann, ist in der Fachliteratur umstritten. Verlangt man das nicht, verliert die Patientenverfügung bei Patienten, die in einen suggestiblen Zustand geraten sind, fast völlig ihre Bedeutung. Zu Recht weist Schwab darauf hin, dass ein von der Patientenverfügung abweichender aktueller Wille des Patienten auch im Rahmen der Prüfung berücksichtigt werden kann, ob die aktuelle Behandlungssituation der in der Patientenverfügung vorhergesehenen entspricht (2012b, § 1901a Rn. 35). Erlaubt sie eine Behandlung, muss geprüft werden, ob sie gerade auch eine zwangsweise Behandlung erlaubt. Verbietet sie eine Behandlung, muss geprüft werden, ob sie sie gerade auch für den Fall verbieten soll, dass der Patient sie sich in der konkreten Situation dennoch wünscht.

15.4 Zwangsbehandlung

Ist der Patient einwilligungsunfähig, entscheidet sein früherer in einer wirksamen Patientenverfügung festgelegter Wille (§ 1901a Abs. 1 BGB) oder sein mutmaßlicher Wille (§ 1901a Abs. 2 BGB) darüber, ob eine Behandlung durchgeführt oder unterlassen werden soll (siehe auch § 630d Abs. 1 BGB).
Damit ist noch nicht gesagt, dass sein aktueller, lediglich natürlicher Wille unbeachtlich ist. Zumindest muss er auch in dieser Situation noch vom Arzt über die wesentlichen Umstände der Behandlung informiert werden (§ 630e Abs. 5 BGB). Will er sie nicht, bedarf die Überwindung dieses Willens durch Zwang einer eigenständigen gesetzlichen Rechtfertigung. Für den in der Psychiatrie stationär untergebrachten Patienten kann sich eine solche aus § 1906 Abs. 3 und 3a BGB oder aus den Landesgesetzen über die Unterbringung psychisch Kranker ergeben. Für eine ambulante Zwangsbehandlung fehlt sie jedoch (BGHZ 145, S. 297). Daraus folgt, dass derzeit niemand gegen seinen natürlichen Willen behandelt werden darf, es sei denn, es wäre dafür seine geschlossene Unterbringung erforderlich. Es ist im Übrigen auch nicht zulässig, die Zwangsbehandlung durch eine geschlossene Unterbringung zu ermöglichen, die nicht erforderlich ist, weil der Patient gar nicht die Absicht hat, sich der Behandlung durch Flucht zu entziehen (BGH BtPrax 2008, S. 115).
Literatur
Amelung K (1995) Probleme der Einwilligungsfähigkeit. R P 13:20–28
Eisele J (2014) Vorbemerkungen zu den §§ 13 ff. In: Schönke A, Schröder H (Hrsg) StGB. Kommentar. 29. Aufl. C.H. Beck, München, S 136–206
Kohler J (2004) Die Kunst, ein nicht vorhandenes Problem nicht zu lösen – oder: die Smartiegesetzgebung. JZ 59:348–349
Kröber HL (1998) Psychiatrische Kriterien zur Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit. Rechtsmedizin 8:41–46CrossRef
Lenckner T, Sternberg-Lieben D (2014) Vorbemerkungen zu den §§ 32 ff. In: Schönke A, Schröder H (Hrsg) StGB. Kommentar, 29. Aufl. C.H. Beck, München, S 571–641
Roth A (2014) Teil C. Möglichkeiten der Vorsorge. In: Dodegge G, Roth A (Hrsg) Systematischer Praxiskommentar Betreuungsrecht, 4. Aufl. Bundesanzeiger, Köln, S 183–244
Schiemann G (2011) § 823. In: Westermann HP, Grunewald, B, Maier-Reimer G (Eds.) Erman. BGB, vol. 2, 13. Aufl. Dr. Otto Schmidt, Cologne, S 3583-3629
Schmitt J (2012) Section 104. In: MünchKommBGB. Volume 1, General Section, 6th Ed. CH Beck, Munich, S 1080-1084
Schwab D (2012a) § 1896. In: MünchKommBGB. 8 Family Law II, 6th edition CH Beck, Munich, S 1742-1822
Schwab D (2012b) § 1901a. In: MünchKommBGB. 8 Family Law II, 6th edition CH Beck, Munich, S 1860-1877
Taupitz J (2000) Do civil-law regulations recommend the safeguarding of patient autonomy at the end of life? Expertise A for the 63rd German Law Day. CH Beck, Munich
Winterstein P (1999) Decisions of the supervisor in health care. BdB Union Newspaper 19: 21-25

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Nov 5, 2016 | Posted by in CRITICAL CARE | Comments Off on Einwilligungsfähigkeit – Geschäftsfähigkeit – freier Wille

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