Bestattungsregelungen und Bestattungsformen




© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016
Arnd T. May, Hartmut Kreß, Torsten Verrel und Till Wagner (Hrsg.)Patientenverfügungen10.1007/978-3-642-10246-2_45


45. Bestattungsregelungen und Bestattungsformen



Hartmut Kreß 


(1)
Evangelisch-Theologische Fakultät, Abt. Sozialethik, Universität Bonn, Am Hof 1, 53113 Bonn, Deutschland

 



 

Hartmut Kreß



Inzwischen ziehen Menschen zunehmend in Betracht, eine Patientenverfügung zu verfassen. Oftmals sind sie auch bereit, einen Organspendeausweis auszufüllen und nach dem eigenen Tod (Hirntod) Organe zur Verfügung zu stellen, um anderen hierdurch das Leben zu retten (s. Kap. 28). Die Entscheidung, eine Patientenverfügung oder einen Organspendeausweis zu unterzeichnen, stellt sich freilich erst seit wenigen Jahrzehnten, nämlich seit den 1980er Jahren. Sie ist eine Folge des modernen medizinischen Fortschritts. Patientenverfügungen betreffen die Zeitspanne vor dem Tod. Die Einwilligung in eine Organspende berührt den Todeszeitpunkt selbst, so wie er sich aus Sicht heutiger Medizin mit Hilfe des Hirntodkriteriums bestimmen lässt.

Die Zeitspanne nach dem Tod, nämlich Begräbnis und Bestattung, ist hingegen schon in den frühesten Kulturen ein existentielles Thema gewesen, mit dem man sich religiös und künstlerisch, im Kultus, in Ritualen, Symbolik oder durch Malerei, auseinandersetzte. Dem Philosophen Hans Jonas zufolge gehört der Umgang mit dem Grab zu den Merkmalen, die den Unterschied des Menschen von anderen Lebewesen verdeutlichen. Sowohl angesichts eines Höhlengrabes als auch einer alt­orientalischen Gruft oder einer bürgerlichen Grabstätte des 19. Jahrhunderts werde deutlich, „dass hier ein Wesen, der Sterblichkeit unterworfen, über Leben und Tod nachsinnt, dem Augenschein Trotz bietet und sein Denken ins Unsichtbare erhebt“ (Jonas 1992, S. 48). Unter den Zehn Geboten des Alten Testaments findet sich das Gebot der Elternehrung. Im Alten Orient bezog es sich nicht auf Heranwachsende, sondern auf die erwachsenen Kinder, die unter anderem für die Bestattung, das würdige Begräbnis ihrer Eltern zu sorgen hatten (vgl. Lang 1977).

Nun waren im 20. Jahrhundert Sterben, Bestattung und Trauer in der Öffentlichkeit und in der Alltagskultur oftmals ganz in den Hintergrund getreten; die Themen wurden verdrängt. Zurzeit setzt ein Bewusstseinswandel ein. Viele Menschen beschäftigen sich gezielt mit ihrem künftigen Sterben, insbesondere mit den Problemen des lang dauernden Sterbeprozesses und der künstlichen Lebensverlängerung, sowie darüber hinaus auch mit ihrer späteren Bestattung. Daher ist beträchtliche Nachfrage entstanden, die die Beratung zu Patientenverfügungen, aber auch zu Bestattungsregelungen und Bestattungsformen betrifft. Es zeichnet sich ab, dass Anbieter von Beratungen beide Fragestellungen gleichzeitig vor Augen haben sollten. Ein Gespräch, das über eine Bestattung geführt wird, hat eigene Inhalte zu beachten.


45.1 Themen der Beratung zu Bestattungsfragen


Zur Bestattung sind rechtliche, wirtschaftliche, persönliche bzw. familiäre und religiöse oder weltanschauliche Aspekte zu bedenken. Weil die Bundesländer für das Bestattungsrecht zuständig sind, weichen gesetzliche Bestimmungen zum Bestattungswesen in der Bundesrepublik Deutschland teilweise beträchtlich voneinander ab. Davon abgesehen hat im Bestattungs- und Friedhofswesen eine erhebliche Kommerzialisierung eingesetzt; bei den Anbietern herrscht Kostendruck; die Bestattungsunternehmen sind starkem Wettbewerb ausgesetzt. Trotzdem ist nicht immer genügend Preistransparenz vorhanden. Überdies scheuen sich Hinterbliebene aufgrund von Pietätsgefühlen manchmal davor, zu den Kosten einer Bestattung einen Preisvergleich vorzunehmen. Wenn Menschen die Initiative ergreifen und im Vorhinein selbst die Modalitäten ihrer eigenen Bestattung einschließlich der Finanzierung regeln, entlasten sie ihre Angehörigen hiervon. Außerdem kann vermieden werden, dass Hinterbliebene, zumal nach dem Wegfall des Sterbegeldes im Jahr 2004, durch die finanziellen Belastungen der Beerdigung überfordert werden. Die Höhe der Bestattungskosten schwankt in der Bundesrepublik Deutschland nicht nur nach Bestattungsart – Erd-, Feuerbestattung u. a. –, sondern ebenso zwischen den Regionen und den Städten. Zu den zahlreichen Punkten, die zum Bestattungswesen strukturpolitisch derzeit offen sind, gehört die Privatisierung von Friedhöfen, die sich auch auf die Kosten für eine Grabstätte auswirken kann. Für diejenigen, die sich vorsorglich mit ihrer eigenen künftigen Bestattung beschäftigen, sind ökonomische Aspekte gegebenenfalls ein wesentliches Anliegen.

Zur Art der Bestattung sind heutzutage zahlreiche Alternativen vorhanden: Sie reichen von der herkömmlichen Erd- und Sargbestattung über Gemeinschaftsgrabfelder oder die Baumbestattung in Friedwäldern oder Ruheforsten bis zum Ausstreuen der Todesasche über Wiesen oder dem Meer und zur Aufbewahrung der Urne im eigenen Haus oder Garten (vgl. Sörries 2009, S. 207 ff.).

Exotische Optionen sind die Weltraumbestattung, der aus der Asche des Verstorbenen gepresste Erinnerungsdiamant, die Plastination (Präparierung und Konservierung des Organismus mit Hilfe flüssiger Kunststoffe) oder die Kryonik (Einfrieren des Leichnams). In der Bundesrepublik Deutschland sind keineswegs alle Bestattungsformen statthaft. Dies betrifft insbesondere solche ganz ungewöhnlichen oder neuartigen Techniken. Zu manchen Formen der Bestattung herrscht im Inland unter Gesichtspunkten des ordre public, der „guten Sitten“ und der Pietät Meinungsstreit. Beträchtliche Meinungsverschiedenheiten wurden und werden etwa dazu ausgetragen, ob es zulässig sein soll, eine Urne nicht auf dem Friedhof, sondern in der Wohnung der Hinterbliebenen aufzubewahren. Hierzu wurden auch gerichtliche Auseinandersetzungen geführt (vgl. z. B. OVG Koblenz, Urteil vom 18.04.2012, 7A 10005/12.OVG). Allein schon deshalb, weil in anderen europäischen Ländern liberalere Rechtsregelungen gelten – z. B. teilweise kein Friedhofszwang in der Schweiz –, sind auch für die Bundesrepublik Deutschland auf Dauer Öffnungen zu erwarten. Nicht nachvollziehbar ist manches, was in Deutschland aus dem Föderalismus des Bestattungswesens resultiert. So wurde in den zurückliegenden Jahren berichtet, dass das Ausstreuen von Asche in Rostock oder Bielefeld zulässig sei, in München oder Leipzig aber nicht. Für den staatlichen Gesetzgeber werden Reformen des Bestattungsrechts auf der Tagesordnung bleiben müssen.

So wichtig die rechtlichen und ökonomischen Aspekte sind – letztlich besitzt eine Bestattung deswegen einen so hohen Stellenwert, weil sie für Hinterbliebene und Angehörige einen Abschiedsritus darstellt. In der Bestattung spiegeln sich religiöse oder säkular-weltanschauliche Anschauungen des Verstorbenen selbst sowie der Angehörigen. Begräbnis und Bestattung stellen symbolische Handlungen dar, die das Menschenbild, das individuelle Selbstverständnis und die religiöse oder weltanschauliche, familiäre und soziokulturelle Beheimatung der Betroffenen berühren.

Wenn Menschen zu ihrer eigenen späteren Bestattung beraten werden, müssen deshalb die Vorstellungen und Wünsche der Ratsuchenden selbst im Vordergrund stehen; es geht um ihr postmortal fortwirkendes Selbstbestimmungsrecht. Das Beratungsgespräch hat das Persönlichkeitsrecht, die Glaubens-, Religions- und Weltanschauungsfreiheit der Ratsuchenden sowie familiäre Belange zu respektieren.

Die Entscheidung für eine bestimmte Bestattungsform, z. B. die Feuer- oder eine Seebestattung, kann ökonomisch, aber auch von religiösen oder lebensanschaulichen Überzeugungen motiviert sein. Eine eindeutige Festlegung ist unter Umständen auch für die Angehörigen bzw. die späteren Hinterbliebenen nützlich. Dies gilt z. B. dann, wenn eine Form der Bestattung ausgewählt wird – etwa die Feuerbestattung oder die anonyme Bestattung –, die den Hinterbliebenen selbst fernliegen würde.

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Nov 5, 2016 | Posted by in CRITICAL CARE | Comments Off on Bestattungsregelungen und Bestattungsformen

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