Amyothrophe Lateralsklerose (ALS)




© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016
Arnd T. May, Hartmut Kreß, Torsten Verrel und Till Wagner (Hrsg.)Patientenverfügungen10.1007/978-3-642-10246-2_26


26. Amyothrophe Lateralsklerose (ALS)



Sylvia Kotterba 


(1)
Klinik für Geriatrie, Klinikum Leer gGmbH, Augustenstr. 35–37, 26789 Leer, Deutschland

 



 

Sylvia Kotterba



Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) (amyotrophic lateral sclerosis) ist eine chronische und rasch fortschreitende neurologische Erkrankung, deren Ursache ungeklärt ist. Die betroffenen Patienten erleben eine zunehmende Lähmung (Parese, griech. paresis „Erschlaffen“) unterschiedlicher Muskelgruppen. Pathologisch-anatomisch findet sich ein Zugrundegehen (Degeneration) ausschließlich motorischer (für die Bewegung verantwortliche) Nervenzellen im Gehirn und Rückenmark. Klinisch finden sich daher parallel Lähmungen mit erhöhter Muskelspannung (spastische Paresen) als Folge der Degeneration der zentralen Nervenbahn von der motorischen Großhirnrinde zum Rückenmark (Tractus corticospinalis) sowie schlaffe Paresen (s. o.) mit Muskelverschmächtigungen und unwillkürlichen Zuckungen (Muskelatrophien mit Faszikulationen) an den Extremitäten und im Hirnnervenbereich. Es treten keine Gefühlsstörungen, Intelligenzeinbußen oder Persönlichkeitsveränderungen der Patienten auf. Die ALS ist die häufigste motorische Systemkrankheit und wurde 1896 erstmalig beschrieben (Masuhr und Neumann 2013).


26.1 Epidemiologie


Das Vorkommen (Inzidenz) liegt bei 1-2,5 pro 100.000 Einwohner. Das mittlere Erkrankungsalter beträgt 55 Jahre, wobei auch ein früherer Beginn möglich ist. Männer sind 1,5-2-mal häufiger betroffen als Frauen. In aller Regel handelt es sich um sporadische Krankheitsfälle, in 5–10 % besteht eine genetische Veranlagung (Prädisposition).


26.2 Pathophysiologie


Die Ursache der ALS ist ungeklärt. Pathologisch-anatomisch findet sich eine Degeneration der Vorderhornzellen des Rückenmarkes und der motorischen Hirnnervenkerne sowie einzelner Abschnitte der Pyramidenbahn und des Gyrus praezentralis (Großhirnregion für die Steuerung der Motorik). Dies führt zu einer Verschmälerung und histologisch nachweisbaren Vernarbung (Gliose) des Vorder- und Seitenstranges des Rückenmarkes (Lateralsklerose).


26.3 Symptome


Erst wenn ein erheblicher Teil der Nervenzellen zu Grunde gegangen ist, verspüren Patienten Symptome. Dabei ist der Beginn sehr variabel. Etwa 70 % der Patienten bemerken zuerst eine Schwäche und Verschmächtigung mit Faszikulation (unwillkürlichen Zuckungen) der Muskulatur, entweder im Bereich der Arme (z. B. mit einer Ungeschicklichkeit und Einschränkung der Feinmotorik, Muskelschwund in der Handmuskulatur), der Beine (z. B. mit einer Gangunsicherheit) oder des Stammes (z. B. mit Schwierigkeiten, sich aufzurichten). Eine weitere Patientengruppe, bei denen primär die Hirnnervenkerne betroffen sind, verspürt zuerst eine Schluck- oder Sprechstörung (bulbäre Manifestation mit Dysphagie und Dysarthrophonie in 20–30 % der Fälle) (Masuhr und Neumann 2013). Bei einigen Patienten treten ungewollte, der Situation oft nicht entsprechende Ausbrüche von Lachen oder Weinen auf. Typisch für die ALS ist das parallele Auftreten aller genannten Symptome und die individuell unterschiedliche Ausprägung zu Beginn. Bei den meisten Patienten besteht nach spätestens zwei Jahren eine Pflegebedürftigkeit, wobei es insbesondere um Unterstützung der Mobilität geht. Je nach Verlaufsform kann aber auch schon frühzeitig der Einsatz von Kommunikationshilfen, Ernährungssonden (Kotterba 2007) (s. Kap. 23) oder Beatmung (Culebras 2000; Kotterba 2007; Lulé et al. 2008) (s. Kap. 24) notwendig sein. Hierüber sollten die Patienten frühzeitig aufgeklärt werden, damit nicht in den entsprechenden Situationen (z. B. Erschöpfung der Atmung) schwer rückgängig zu machende Eingriffe (invasive Beatmung) gegen den Willen des Patienten vorgenommen werden.


26.4 Prognose


Im Verlauf werden alle Muskeln, die willkürlich bewegt werden, in den Krankheitsprozess einbezogen. Die Geschwindigkeit der Ausbreitung der Symptome ist unterschiedlich. Die mittlere Verlaufsdauer beträgt drei Jahre, bei Fehlen einer bulbären Symptomatik (Sprach- und Schluckstörung) ist auch in Ausnahmefällen ein Überleben bis zu zehn Jahren möglich. Dabei können die Betroffenen ihre Lebensqualität durchaus als sehr hoch einschätzen (Lulé et al. 2008).

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Nov 5, 2016 | Posted by in CRITICAL CARE | Comments Off on Amyothrophe Lateralsklerose (ALS)

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